Dem Tod (s)ein Festival
„Memento Mori“ nennt sich Wiens erstes Festival rund ums Sterben, das zum besseren Leben anregen will. Als Festivalzentrale fungiert von 7. bis 17. Oktober das Volkskundemuseum im Gartenpalais Schönborn.
„derAchte“ traf Initiatorin und Kuratorin Tina Zickler zum Gespräch.
von Sandra Schäfer
Frau Zickler, Sie haben sich als Kuratorin in der Vergangenheit verstärkt mit der Form des Labyrinths beschäftigt und in Wien selbst zwei Pflanzenlabyrinthe initiiert. Das Labyrinth steht nicht nur in der christlichen Tradition für den Weg zu sich selbst und seine Mitte für den Tod. Ist das interkulturelle Festival Memento Mori eine Fortführung dieser Arbeiten?
In gewisser Weise kann man das so sehen. Themen wie Werden, Wachsen und Vergehen spielen in der Auseinandersetzung mit dem Labyrinth natürlich eine große Rolle. Es geht letztendlich darum, dem Leben und dem Sterben mit einer gewissen Gelassenheit und Zuversicht zu begegnen. Ich selbst wurde in den letzten Jahren im Familien- und Bekanntenkreis verstärkt mit dem Tod konfrontiert. Diese Erfahrung hat mich bestärkt, mich mit dem Thema intensiver auseinanderzusetzen. 2019 habe ich deshalb einen Kurs zur Trauer- und Sterbebegleitung im Kardinal-König-Haus besucht. Dadurch haben sich viele persönliche Kontakte ergeben. Viele Leute tragen Traumata in Verbindung mit dem Tod und mit Trauer in sich, aber sie sprechen im normalen Leben nicht darüber.
Sie schreiben auf der Homepage zum Festival, dass es beim Sprechen über den Tod auch darum geht, über das eigene Leben nachzudenken. Inwieweit wollen und können Sie im Rahmen von „Memento Mori“ Hilfestellung geben und die Menschen gleichzeitig dazu bewegen, ihr Leben bewusster zu gestalten?
Das Festival kann keinen Kurs im Bereich Trauer- und Sterbebegleitung ersetzen, aber wir können Impulse geben und anspornen zu schauen: Was will ich auf dieser Welt tun beziehungsweise gestalten? Habe ich das Leben gelebt, das ich mir gewünscht habe? Warum habe ich dies oder das nicht gemacht? Wenn man so gelebt hat, wie man es wollte, kann man auch zufriedener und damit leichter sterben. Ich denke, jeder hat die Aufgabe, seine Talente zu entfalten – zu blühen und Früchte zu tragen. Davon kann auch die Gemeinschaft profitieren. Ein wesentlicher Faktor ist das Verhältnis zur Familie und zu Freunden. Es ist wichtig, dass man in der Welt gut verankert ist.
Frühere Generationen haben stärker mit dem Tod gelebt. Aufbahrungen haben lange Zeit zu Hause stattgefunden usw. Ist das Festival auch ein Versuch, den Tod wieder vermehrt in unserem Leben zuzulassen und ihn nicht länger zu verdrängen?
Diese Entwicklung, die wir heute sehen, war und ist natürlich ein schleichender Prozess, der zu unserer Gesellschaft passt: die Tabuisierung des Alters, der Hang zur Selbstoptimierung, das permanente Streben, unablässig glücklich zu sein. Leiden und Sterben sind Teil des Lebens und werden heute gänzlich ausgeblendet.
Jede Abbildung einer schönen Frau, die wir heute sehen, wird im Vorfeld retuschiert. Das Alter wird ausradiert. Uns wird verkauft, dem Altern zu entkommen. Das ist natürlich Quatsch. Viele Leute wissen heutzutage gar nicht mehr, dass sie das Recht haben, den/die Verstobene/n noch länger zu Hause zu behalten. Deshalb werden Verstorbene meist nicht mehr zu Hause aufgebahrt. Das ist aber eine schöne Gelegenheit, sich gut zu verabschieden. Auch das passt zu unserer Zeit, in der es darum geht, alles so schnell wie möglich zu erledigen. Wir nehmen uns kaum Zeit für diese Rituale. Ziel des Festivals ist es deshalb, einen gesellschaftlichen Diskurs über unseren Umgang mit Tod und Trauer anzustoßen.
„Memento Mori“ wurde zum Großteil während der Corona-Krise geplant. Welche Spuren hat die Pandemie in Bezug auf den Umgang mit dem Thema Tod in der Gesellschaft hinterlassen? Wird es eine Auseinandersetzung im Rahmen des Festivals geben?
Durch die Einführung der diversen Covid-Regeln war es vielen Leuten nicht mehr möglich, ihre Angehörigen in den Pflege- und Altersheimen zu besuchen. Viele Menschen sind dadurch einsam gestorben. Im Sterbeprozess keinen Beistand von Angehörigen erfahren zu dürfen, ist ein Albtraum – so etwas darf nicht wieder vorkommen. Auch dass sich die Angehörigen nicht verabschie- den konnten, ist für diese traumatisch. Gerade auch in diesem Punkt ist es wichtig, einen Diskurs anzustoßen. Wir werden im Rahmen des Festivals zwei Workshops veranstalten, bei denen es die Möglichkeit gibt, Tränentücher in Erinnerung an geliebte Verstorbene zu gestalten – eine Möglichkeit, sich mit der Situation noch einmal auseinanderzusetzen. Die Tücher werden im Anschluss in Form einer Installation präsentiert. Zudem werden wir im Rahmen des „Café Tristesse“ mit Monica Aschauer, die unseren Trauer- und Sterbevorbereitungskurs geleitet hat, zwei Gesprächsrunden im Volkskundemuseum anbieten.
Die Gesprächsrunde sowie alle weiteren 22 Veranstaltungen, die in der Festivalzentrale im Volkskundemuseum stattfinden, sind dank einer Crowdfunding-Kampagne kostenfrei zu besuchen. Was erwartet die Besucher:innen noch und warum war Ihnen freier Eintritt wichtig?
Ich bin eine starke Vertreterin von Kultur für alle. Es kann nicht sein, dass ein Großteil der Menschen von Kunst und Kultur und wichtigen Themen ausgeschlossen wird. Neben Konzerten, Lectures und Lesungen können sich die Besucher:innen und Besucher mittels der Dia-Projektion „Partout“ mit Fotos von Lisa Rastl einen ästhetischen Einstieg in das Thema Tod verschaffen. Das Volkskundemuseum verfügt natürlich selbst auch über etliche interessante Objekte zum Thema Tod. Eine Auswahl davon wird ebenfalls zu sehen sein. Zudem haben wir im Vorfeld Menschen aufgerufen, Dinge bei uns abzugeben, die sie mit der Erinnerung an einen geliebten verstorbenen Menschen verbinden. Die Objekte werden in Absprache mit den Hinterbliebenen mit kurzen Beschreibungen versehen und für die Dauer des Festivals in der Installation „Der Trost der Dinge“ gezeigt. Aus Erfahrung weiß ich, dass der Griff zu solch einem Objekt etwas Tröstliches bieten kann.
▶ Memento Mori: 07–17/10/2021 Volkskundemuseum. 8., Laudongasse 15–19 festival-memento-mori.at
„Das wichtigste Ziel des Festivals ist es, ein Tabu aufzubrechen und über die Reflexion des Todes die Menschen auch dazu zu bewegen, darüber nachzudenken, wie sie leben wollen. Das wollte ich auch visuell umgesetzt wissen. Ich hatte ein Bild im Kopf von einer Blume, die einem Totenkopf entwächst. Daraus hat sich dieses wunderbar gelungene Festivalsujet entwickelt.
Zur Person: Tina Zickler studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Sie arbeitet und lebt als freie Kuratorin in Wien, wo sie unter anderem für die Ausstellungen „BRÜDER SCHWADRON“, „handWERK – Tradiertes Können in der Digitalen Welt“ und die Installation „Sharing Heritage: Labyrinths in Europe“ verantwortlich zeichnete. Für kommendes Jahr plant sie ein Festival zum Thema „REPAIR“ – ebenfalls im Volkskundemuseum Wien.
Installationen und Ausstellungen
Im Rahmen von „Memento Mori“ werden in der Festivalzentrale im Volkskundemuseum auch Installationen und Ausstellungen zu sehen sein. Die Dia-Projektion „Partout“ der Fotografin Lisa Rastl verschafft den Besucher:innen auf dem Pfad der Kulturgeschichte einen ästhetischen Einstieg ins Festivalthema Tod: Rastl fotografiert Kunstwerke von Ana Mendieta bis Albrecht Dürer und beleuchtet die Omnipräsenz des Totenkopf-Sym- bols im Stadtbild Wiens. Für die von Tina Zickler konzipierte partizipative Installation „Der Trost der Dinge“ werden Wiener:innen dazu aufgerufen, persönliche Objekte, die sie an geliebte Verstorbene erinnern, temporär zur Verfügung zu stellen.
▶ Di–So ab 10h. Volkskundemuseum. 8., Laudongasse 15–19
Taschentücher der Tränen
Von 2013 bis 2017 bestickte die Künstlerin Sabine Groschup Stofftaschentücher, die ihr vererbt oder überlassen wurden, mit eigener Lyrik. In der Ausstellung „Taschentücher der Tränen“ werden zwölf dieser Werke präsentiert, die allesamt Tod, Trauer und Momente der Zeitlichkeit in den Mittelpunkt stellen. Am 8. Oktober um 16.00 Uhr führt die Künstlerin persönlich durch die Ausstellung. Passend dazu finden am 9. und 16. Oktober zwei von Ida Divinzenz geleitete Workshops statt, in denen sogenannte Adieu-Tücher gestaltet – bestickt, beschrieben oder bemalt – werden. Anschließend werden sie in der Installation „Adieu & Au Revoir“ präsentiert.
▶ Di–So ab 10h; Workshop: 09+16/10/2021, 11–14h. Anmeldung ab September. Volkskundemuseum. 8., Laudongasse 15–19
Vorträge und Lesungen
Trauerrituale in anderen Ländern und Kulturen werden in den vielfältigen und äußerst spannenden Lectures beleuchtet. Unter anderem wird Danielle Spera (Bild) über Trauerrituale im Judentum sprechen. Weiters kann man sich über den Umgang mit dem Tod und Bestattungsrituale im Islam, über das Heilsame in den kroatischen Totenklagen und über Todestabus in Japan zwischen Buddhismus und Shinto informieren.
Marlene Streeruwitz wird aus ihrer Novelle „Morire in Levitate“ lesen und der Trauerredner Carl Achleitner vielleicht sogar das Geheimnis eines guten Lebens verraten.
▶ Info: festival-memento-mori.at
Weinen & lachen
Als „lebendige Bibliothek“ stellen sich Young Widowers anderen Men- schen, die ebenfalls in jungen Jahren den oder die Lebenspartner:in verloren haben, für Gespräche zur Verfügung. In „Intermezzo“ schafft die Interpretation der Solosuiten von Johann Sebastian Bach durch den Violoncellisten Sebastian Jolles Momente des Innehaltens und der Würdigung des Todes. Von Totenliedern und Klagemelodien weiß hingegen das Vokalensemble „Traditionelle Musik“ zu erzählen. Es widmet sich traditioneller Vokalmusik aus Südosteuropa. Zum Lachen gibt es dann einiges im Late-Night-Kabarett mit Lisa Schmid. Die junge Wienerin spielt in tiefer Trauer Auszüge aus ihrem ersten Solo-Programm „Ehrengrab“.
- ▶ Info: festival-memento-mori.at