Eine Institution zieht weiter …

… in Zeit und Raum

Von Christina Marchesani nach einem Gespräch mit Christian Schreiter

Seit 1901 hat der ursprünglich 1892 in Niederösterreich gegründete Alpenverein-Gebirgsverein sein Vereinshaus in der Lerchenfelder Straße (seit 1930 am aktuellen Standort im Haus Nr. 28) – doch nun beginnt sich diese Ära ihrem Ende zuzuneigen.

Wir wollen die Wanderung nicht beim Gipfelkreuz beginnen. Zurück zu den Anfängen: In den späten 1920er-Jahren platzten die Vereinsräumlichkeiten in der Lerchenfelder Straße 39 aus allen Nähten. Die Gelegenheit für den Ankauf der Nr. 28 kam genau zur rechten Zeit. Schnell konnte sich hier ein aktives Vereinsleben mit Vorträgen und Ausbildungsangeboten entwickeln. Rund 30.000 Mitglieder zählte man damals vor allem in Wien und Niederösterreich.

Zum 125-jährigen Jubiläum ließ der Verein seine antisemitische Geschichte und die Zeit des Nationalsozialismus aufarbeiten, um auch mit diesem Teil der Vereinsgeschichte offen umzugehen. Dies hatte einige Ausschlüsse zur Folge und förderte auch eine kleine Skurrilität zutage: Neben dem nationalsozialistischen Flügel und einigen Personen, die sich als Mitläufer und Profiteure des Naziregimes erwiesen, stieß man auch auf mehrere Gruppen der „roten“ Naturfreunde, die nach der Auflösung ihrer Organisation durch die Austrofaschisten 1934 offensichtlich beim Gebirgsverein untergekommen waren und als Gruppe in der Gruppe bis in die 1960er-Jahre aktiv blieben.

Seit der Aufarbeitung verfügt der Verein zudem über ein wissenschaftlich zugängliches Archiv, was vor allem in Bezug auf historische Wegerechte interessant und hilfreich ist.

Die Corona-Jahre haben den Verein nicht so hart getroffen wie andere. Wie bei den meisten wurde technisch viel dazugelernt und der Verleih wurde digital ausgebaut und in der Abwicklung für alle erleichtert; die Mitgliederzahlen haben sogar ein Allzeithoch erreicht.

Und damit sind wir auch schon bei der Zukunft. Für einen wachsenden Verein mit einem aktiven, modernen Vereinsleben braucht man zeitgemäße Räumlichkeiten. Der stark in die Jahre gekommene Standort in der Josefstadt erfüllt weder diese Anforderungen noch die nötigen Sicherheitsstandards. Schon lange sind im Haus Nr. 28 Sanierungsarbeiten notwendig. Deshalb hat man sich im Vorstand nach langem Abwägen der Für und Wider zu einem Verkauf des Hauses entschieden, um in einem Neubau in der Kobingergasse in Meidling einen Neustart zu wagen.

Bei der Hausbesichtigung wird deutlich, was Christian Schreiter mir zuvor beschrieben hat. Vor 30 Jahren waren eine Vorstiegswand und Kletterwände in einem Altbau mitten in der Stadt bestimmt eine Neuheit. Heute sind die Sicherheitsanforderungen gestiegen. Auch die Kundenerwartung ist eine andere und die Konkurrenz ist vielfältig. Die Räumlichkeiten wirken aus der Zeit gefallen, in vielen Bereichen ist auch ohne genaue Kenntnis der Materie klar, dass ein zeitgemäßes und aktives Vereinsleben mit viel Begegnung und Austausch hier schwer aufrechtzuerhalten ist. Der dringend fällige Schritt in Richtung Moderne wäre nur mit enormem finanziellem Aufwand möglich und dann bliebe es in der Grundstruktur immer noch ein Wohnhaus. Die Entscheidung für einen Neuanfang an anderer Stelle hat man sich nicht leicht gemacht und so hofft man, dass der Entscheidungsprozess in der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 16. September seinen Abschluss findet und diese den Plänen für einen Neuanfang zustimmt.

Ist dies das Ende der 100-jährigen Beziehung zwischen dem Gebirgsverein und der Josefstadt? Noch nicht und vor allem nicht ganz. Bis Ende der Wintersaison 2024/25 bleibt der Verein dem Bezirk mit seinem vollständigen Angebot erhalten und auch danach sollen die Verbindungen nicht abreißen sowie Synergien und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit hier bestehenden Einrichtungen weitergeführt werden. Und wenn es dann so weit ist und die Josefstädter:innen wirklich Abschied nehmen müssen, haben sie es trotzdem nicht weit: Nur vier Stationen mit der U-Bahnlinie U6 bringen sie wieder näher zu Abenteuern in der Natur und den Bergen.

Wer steckt dahinter

Zwölf Mitarbeiter:innen und rund 600 Ehrenamtliche erfüllen für die Mitglieder den Gebirgsverein mit Leben. Die Angestellten verantworten Servicestelle, Verleih und Shop, betreuen die Mitglieder und koordinieren die Arbeiten rund um Hütten und Wege. Bei den Ehrenamtlichen dreht sich alles um den Erhalt der Infrastruktur an Wegen und den 20 Hütten, die dem Verein gehören. Dazu kommen Ausbildung und Kurse, geführte Touren und Wanderungen. 2021 gab es insgesamt 270 Tourentage mit 3.000 Teilnehmer:innen. Durch die Veränderungen des Klimas sind die Aufgaben der Wegewarte umfangreicher und aufwendiger geworden. Außerdem braucht jede Hütte ihren Wart. Hüttenwarte sind die Ansprechpartner:innen der Pächter vor Ort und erledigen auch einmal unkompliziert kleine Reparaturen.

ein Apfelstrude mit Kaffee, ein Mann mit Brille lächtelt in die Kamera, Wanderer mit Rucksack

Alpenverein © Wolfgang Kühteubl-Fichtl

Schmeckende saubere Berge

20 Hütten gehören zum Gebirgsverein und damit fast 10 Prozent aller Hütten des Österreichischen Alpenvereins. Hier möchte der Verein die Natur künftig noch spürbarer für den Menschen bewahren, aber auch vor seinem negativen Handeln schützen. Vom technischen Betrieb (z. B. Energiequellen) bis zum Einkauf für die Küche kommt alles auf den Prüfstand: Geht es nachhaltiger, geht es regionaler, geht es ohne? So sollen die Hütten sukzessive mit dem Umweltgütesiegel ausgezeichnet werden und garniert mit dem „So schmecken die Berge“-Siegel nur mehr regionale Produkte servieren. Die Lastenseilbahn zum Habsburghaus wird mit der hauseigenen Photovoltaikanlage betrieben und in Lilienfeld kommt nur auf den Tisch, was im Umkreis von vier Kilometern erzeugt wurde. „An Guad’n!“

Grundrecht auf freien Zugang zur Natur

Um den öffentlichen Zugang zur Natur ist es in Österreich nicht überall gleich gut bestellt. Hier besteht Aufklärungsbedarf. Für den Gebirgsverein bedeutet das, im eigenen Einflussbereich Wegerechte durchzusetzen, die von Eigentümern in Frage gestellt werden. Dabei hilft das vor zehn Jahren wissenschaftlich aufbereitete Archiv der 132-jährigen Geschichte. Der Dachverband des Gebirgsvereins, der ÖAV, hat gemeinsam mit den Naturfreunden und der Arbeiterkammer eine Studie in Auftrag gegeben, die einen Diskussionsprozess starten soll, um langfristig den freien Zugang zu Natur besser zu schützen und im besten Fall das Recht auf Natur in der Verfassung zu verankern.

▶ Link zur Studie: https://wien.arbeiterkammer.at/service/veranstaltungen/Studie_Freier_Zugang_zur_Natur_2022.pdf

Info & Kontakt

Sie möchten mit einem geringen ökologischen, aber realen Fußabdruck bleibenden Eindruck bei Körper und Geist hinterlassen? Dann kommen Sie in die Gebirgsverein-Servicestelle. Hier finden Sie einen der größten Ausrüstungsverleihe Wiens, das City-Kletterzentrum, den Shop und die Seminar- und Vortragsräume. Ende September starten außerdem die Kletterkurse und es gibt zahlreiche Angebote, geführt die Natur zu erkunden. Auch im Internet warten viele tolle Angebote für Gruppen jeden Alters.

▶ Alpenverein-Gebirgsverein. 8., Lerchenfelder Straße 28.
+43 1 4052657, oeav@gebirgsverein.at, www.gebirgsverein.at