Gemeindebau in der Josefstadt

Der kommunale Wohnbau blickt in Wien auf eine 100-jährige Tradition zurück. 1919 legte der damalige Bürgermeister Jakob Reumann den Grundstein zum sozialen Wohnbau. 1925 war der erste Gemeindebau, der Metzleinstaler Hof am Margaretengürtel, bezugsfertig.

Aber auch in der Josefstadt wurde bereits 1925 mit dem Ludo-Hartmann-Hof der erste Gemeindebau eröffnet. Heute gibt es in der Josefstadt 12 Gemeindebauten, die dem kommunalen Wohnbau zuzuordnen sind, mit insgesamt 494 Wohnungen, in denen etwas mehr Frauen (482) als Männer (445) leben. 45 Prozent der Bewohner*innen sind zwischen 30 und 59 Jahre alt.

„Auslüften im Hof“

„Ich bin froh, mit meiner Familie im Gemeindebau zu wohnen, hier gibt es einen wunderschönen grünen Innenhof, geschützt von der Straße können meine beiden Kinder hier in der Sandkiste spielen“, meint eine junge Mutter, während sich am Nachbarbankerl zwei ältere Damen auf Abstand unterhalten: „Ja, besonders jetzt in der Corona-Zeit ist es gut, nicht nur in der Wohnung eingesperrt zu sein. Wir gehen abwechselnd runter, um uns auszulüften!“ Hinter den oft schmucklosen Fassaden verbergen sich häufig Grünoasen mit Altbaumbestand.

Architekt Cesar Poppovits baute in der Josefstadt, wo er zeitlebens auch wohnte, die beiden bedeutendsten Wohnhausanlagen, den Ludo-Hartmann-Hof in der Albertgasse 13–17 (1924/25) und den Therese-Schlesinger-Hof in der Wickenburggasse 15 (1930).

An der nach dem Bildungspolitiker Ludo Moritz Hartmann (1865–1924) benannten Wohnhausanlage fällt besonders der zurückversetzte Mitteltrakt auf. Diese wunderschön ausgestaltete Erdgeschoßzone mit Keramikdekor und palmenförmigen Majolikasäulen erinnert an Einkaufspassagen in Paris oder Madrid. Heute kann man rechts im verspielten „CupCakes“ Kaffee trinken und links im „Mamamon“ sensationeller Thai-Küche frönen. Der Ludo-Hartmann-Hof hat drei Innenhöfe und außergewöhnlich große Wohnungen mit bis zu vier Zimmern. Diese waren für die höheren Beamten des nahe gelegenen Wiener Rathauses vorgesehen.

Im Therese-Schlesinger-Hof hatte sich Poppovits städtebaulich einer komplizierten Baulücke an der Stelle eines Vorstadtwirtshauses anzupassen. Die Architektur ist 1930 bereits puristischer und der keramische Schmuck reduzierter. Die Nüchternheit dieser kleinen Hofanlage wird hier von tief eingeschnittenen Fensteröffnungen mit siegellackroten keramischen Leibungen konterkariert. Der begrünte Innenhof verbindet die Eingänge Wickenburggasse und Schlösselgasse. Therese Schlesinger (1863–1940), geborene Eckstein, gehörte zu den ersten Sozialdemokratinnen, die ins Parlament der Ersten Republik gewählt wurden.

 

Brunnen mit drei Männern als Statuendrei Eulen in bunter MosaikkunstMaxi Böhm Gedenktafel

Kunst ist überall

Nach Schlesinger ist heute auch der Platz vor dem Amtshaus der Josefstadt benannt. Nach der ersten Bezirksvorsteherin wiederum wurde 1987 der 1955–1958 erbaute Maria-Franc-Hof in der Lange Gasse 21–23 benannt. Der Vorplatz von Stiege 1 mit dem großen Baum könnte sich nach einer Attraktivierung in ein wahres Kleinod verwandeln – gleich bei der Gedenktafel für Maria Franc (1906–1971). Sie war bereits in der Ersten Republik christliche Gewerkschafterin. Nach dem Krieg war sie Bezirksrätin (1950–1964) und erste weibliche Bezirksvorsteherin in Wien (1959–1964). Den Hofteil entlang der Zeltgasse schmückt seit 1957 ein unter Denkmalschutz stehendes, viereinhalb Meter hohes Wandmosaik, das drei Eulen zeigt.

Kunst ist im Gemeindebau überall zu finden, etwa das 5,5 x 8 Meter große Sgraffitobild am Albertplatz 7. Das 1954 von Karl Langer geschaffene, über drei Stockwerke und die Gebäudeecke verlaufende Werk widmet sich der Erbauung der Ersten Wiener Wasserleitung (1803–1805) durch Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738– 1822), der auch die nach ihm benannte Grafische Sammlung Albertina gründete.

Die unter Denkmalschutz stehende Figurengruppe für den Brunnen am Vorplatz der Wohnhausanlage Pfeilgasse 10–12 stammt von Matthias Hietz (1954). In den Jahren 1954 bis 1956 entstand dieser Komplex nach den Plänen von Heinrich Reitstätter. Im Gebäude befand sich ein Kindergarten, darum wurde der Innenhof großzügig als Spielplatz angelegt.

Altlerchenfeld

Zwei interessante Bauten befinden sich im Josefstädter Bezirksteil Altlerchenfeld, einem ehemaligen Vorort Wiens.
Der Faber-Hof (Pfeilgasse 42) wurde im Jahr 1927 nach den Plänen des Architekten Wilhelm Peterle errichtet und trägt den Namen des Senatsrats Dr. Adolf Faber. Der unter Denkmalschutz stehende Hof hat im Mezzanin einen Turnsaal des Arbeiterturnvereins, der heute von der benachbarten Schule genutzt wird.

Gegenüber wurde 1925/26 der Dr.-Kronawetter-Hof errichtet. Die heute unter Denkmalschutz stehende Anlage sollte von Beginn an nicht nur als Wohnhaus dienen, sondern auch einen Stützpunkt der Wiener Straßenreinigung beherbergen, was bis heute so geblieben ist. Ein Mäanderband über dem zentralen Eingang sowie Rauten zwischen den Fenstern und weitere klassizistisch anmutende Dekorationen kommen leider derzeit nicht zur Geltung, denn die Anlage ist sanierungsbedürftig.

Vielleicht packt man ja die Gelegenheit beim Schopf und schafft im Zuge der gegenüber geplanten Schulerweiterung auch gleich ein attraktives Wohngrätzl mit einer Begegnungszone.

In der Josefstadt finden sich auch zwei kommunale Wohnbauten jüngeren Datums. Eva Weil plante den 1986–1988 errichteten Max-Böhm-Hof beim Tigerpark. Max Böhm war Kabarettist und Schauspieler unter anderem am Theater in der Josefstadt.

Der letzte in der Josefstadt erbaute Gemeindebau ist auch schon über 25 Jahre alt. Der Rudolf-von-Alt-Hof in der Skodagasse 22 wurde nach dem Maler Rudolf von Alt benannt.

 

Historisches

Lenaugasse: Wohnen hinter dem Rathaus
In einigen älteren Häusern, die schon vor Beginn des sozialen Wohnbaus errichtet wurden und heute im Besitz der Stadt Wien sind, werden ebenfalls Gemeindewohnungen vergeben. So im 1905 erbauten Hamerling-Hof, im 1762 erbauten Wohnhaus „Zum goldenen Lamm“ (Auerspergstraße), im 1847/48 erbauten Oskar-Werner-Hof (Lenaugasse) sowie in weiteren Immobilien in der Lenaugasse. Sie werden von der WISEG (Wiener Substanzerhaltungsg.m.b.H. & Co KG) verwaltet, die sich mehrheitlich im Besitz der Stadt befindet.
WISEG: 17., Hernalser Gürtel 1. www.wiseg.at

Ehemaliges Kellertheater
Aus der Zeit gefallen wirkt das Haus, in dem sich das Café Auersperg befindet. Das 1762 erbaute Wohnhaus „Zum goldenen Lamm“ wurde als ensembletypische Anlage errichtet und besaß ursprünglich einen gärtnerisch gestalteten Innenhof. 1848 erhielt das Haus nach Plänen von Franz Reumann eine neue, schlichte Putzfassade, akzentuiert durch eine mittige Balkonveranda. In den 1970er-Jahren wurde an der hinteren Grundstücksgrenze ein Stiegenhaus errichtet, das zum ehemaligen Kellertheater „Theater beim Auersperg“ im zweiten Untergeschoß des Nachbarhauses Nr. 17 führte. Besonders auffallend ist die gut erhaltene, von Puttenallegorien geprägte Deckendekoration im Foyer.
Auerspergstraße 19

Anstelle des Ziegelofens
Der 1994 in „Oskar-Werner-Hof“ umbenannte Wohnhauskomplex weist aufgrund der unterschiedlichen Bauperioden keinen einheitlichen Stil
auf. Der heutige Hoftrakt, das seinerzeitige „Michaelerhaus“, wurde 1756 von Johann Pauli im Auftrag des Barnabitenkollegiums anstelle eines Ziegelofens erbaut. 1776 wurde hier das ehemalige Kollegium St. Michael errichtet. Der 1847 erbaute Straßentrakt, der heute unter Denkmalschutz steht, wurde von August Engelbrecht geplant. Dort befanden sich damals die sehr berühmte Wallishauser’sche Buchdruckerei und das Wohnhaus Franz Grillparzers, der hier seine Dramen drucken ließ. Am straßenseitig gelegenen Trakt des Wohnhauses findet man die Gedenktafel für den Dramatiker und Lyriker Anton Wildgans (1881–1931), der dort von 1893 bis 1905 „einen Teil seiner Jugend“ verlebte.
Lenaugasse 19

Einstige Synagoge
Auf dem Grundstück in der Neudeggergasse 12 wurde 1903 vom Architekten Max Fleischer eine Synagoge errichtet. Dieses vom Tempelverein Josefstadt unterhaltene Bethaus fiel während der sogenannten Novemberpogrome den randalierenden Nationalsozialisten zum Opfer. Die Beschädigungen waren derart verheerend, dass das Gebäude 1940 abgerissen werden musste. 1948 erfolgte die Rückerstattung des Grundstücks an die Israelitische Kultusgemeinde, die es 1953 an die Gemeinde Wien verkaufte. 1955 wurde das heutige Gebäude auf den Fundamenten der Synagoge errichtet. Gedenktafeln erinnern nun an die Synagoge und die Ereignisse von 1938.
Neudeggergasse 12

 

Buchtipps

Im Gemeindebau
Das im Josefstädter Promedia Verlag erschienene Buch der Journalisten Uwe Mauch und Franz Zauner mit Fotografien von Mario Lang porträtiert 23 Menschen, für die der Gemeindebau Lebensmittelpunkt ist. So spürt Franz Zauner liebevoll zwei Josefstädterinnen in ihrer Lebenswelt „Gemeindebau“ nach.
In Wien leben über 500.000 Menschen im Gemeindebau – also jede/r vierte BewohnerIn. Die Wahrnehmung darüber ist sehr unterschiedlich: Während internationale ExpertInnen den Wiener Gemeindebau als Leuchtturm- Modell beschreiben, schwankt die Bewertung in Wien selbst oft zwischen Naserümpfen und Verächtlichmachung.
Promedia Verlag. 8., Wickenburggasse 5/12. +43 1 405 27 02 promedia@mediashop.at, www.mediashop.at

Lexikon der Wiener Gemeindebauten
Der Josefstädter Historiker Peter Autengruber hat mit seiner Kollegin Ursula Schwarz eine Bestandsaufnahme des Wiener Gemeindebaus in Form eines Lexikons zusammengetragen.
Es listet alle Gemeindebauten mit Adresse in alphabetischer Reihenfolge auf und erklärt ausführlich die Herkunft der Namen.
Erklärt werden aber nicht nur die Namen der Bauten, sondern auch Denkmäler, Sehenswürdigkeiten und andere Kleinode: Die zahlreichen Plastiken, Reliefs, Brunnen und Mosaike in Gemeindebauten werden erstmals in ihrer Vollständigkeit erfasst und beschrieben.
www.styriabooks.at, ISBN: 978-3-85431-623-7

Zwölf Gemeindebauten wurden seit Beginn des sozialen Wohnbaus in der Josefstadt errichtet:
Albertgasse 13-17; Albertplatz 7; Feldgasse 19; Kochgasse 25; Lange Gas- se 21–23; Neudeggergasse 12; Pfeilgasse 10–12; Pfeilgasse 42; Pfeilgasse 47–49; Schlösselgasse 14; Skodagasse 22; Tigergasse 22.
Wenn man eine Gemeindewohnung neu mietet, zahlt man für eine Kategorie-A-Wohnung rund 10 Euro pro Quadratmeter inklusive Umsatzsteuer und Betriebskosten (ohne Gas, Strom und Heizung). Die Wohnungen werden von Wiener Wohnen vergeben.
Anmeldung: www.wienerwohnen.at, +43 5 75 75 75


Ausgabe 02/2020