Große Visionen vom Barhocker aus

Seit Herbst 2022 veranstaltet das Lokal Tunnel in der Josefstädter Florianigasse regelmäßig Lesungen. Vergangene Woche war Klimaaktivistin Lena Schilling mit ihrem Debütwerk „Radikale Wende“ zu Gast und regte mit Textpassagen und Diskussionsfragen zum Nachdenken an.

von Sophia Coper

Die Fenster im Bar-/Restaurantbereich des Tunnel sind groß und breit, das Licht flutet regelrecht durch die Scheiben. Tagsüber locken die geräumigen Tische Studierende zum Arbeiten, der Gang der Sonne wirft Schatten auf die Hinterköpfe. Sobald es dunkel wird, gibt es anstatt Melange und Tagessuppe kühles Bier und der Keller öffnet sich für Veranstaltungen aller Art. Seit September 2022 wurde das bewährte Repertoire an Musikabenden und Stand-up-Comedy um Lesungen erweitert.

So kommt es, dass eines Dienstagabends Lena Schilling auf einem Barhocker auf der Bühne sitzt und fröhlich ins Publikum schaut. Schilling ist das Gesicht der österreichischen Klimabewegung, die Hintergründe für ihr Engagement und ihre Visionen für die Zukunft hat sie jüngst gebündelt im Amalthea Verlag in Buchform herausgebracht. „Radikale Wende“ heißt ihr Debüt – ein Exemplar mit vielen Lesezeichen hält sie in der Hand. Im Publikum sieht man neben vielen jungen Gesichtern auch Bezirksvorsteher Martin Fabisch (Grüne), später wird auch noch der Nationalratsabgeordnete Lukas Hammer (Grüne) vorbeischauen.

Schilling führt souverän durch den Abend, liest Passagen vor, hält aber immer wieder inne, um vertiefende Erklärungen einzustreuen. „Radikal bedeutet ‚von der Wurzel an’ und so müssen wir die Veränderungen auch angehen“, erzählt sie und betont, dass der von ihr geforderte Wandel auch soziale Fragen behandeln muss — gibt aber auch im gleichen Atemzug zu, diese bislang nicht ausreichend gewürdigt zu haben. „Wir werden das Land nur verändern, wenn wir Mehrheiten generieren“, sagt sie und beschreibt sich lachend als den zahmen Flügel der Klimabewegung.

Porträtfoto einer jungen, dunkelhaarigen Frau mit Hochsteckfrisur. Sie lächelt frontal in die Kamera

Lena Schilling @ osaka

Nach der Lesung richtet Schilling noch Fragen ans Publikum, die anfängliche Zaghaftigkeit schlägt schnell um in lebhafte Diskussionsbeiträge. Die Stimmung ist gut, auch Bezirksvorsteher Martin Fabisch ist angetan. „Graswurzel-Bewegungen empfinde ich als wichtig, um die Politik aus ihrer Komfortzone zu scheuchen“, sagt er später. In der Josefstadt möchte er das Bewusstsein fördern, dass Straßen nicht nur Autos gehören, zudem setzt er sich in dem dicht besiedelten Bezirk für den Erhalt jedes Baumes ein. „Im Rahmen meiner Möglichkeiten möchte ich so viel umsetzen, wie es nur geht“, sein Handlungsspielraum als Bezirksvorsteher sei aber begrenzt, räumt er ein.

Schilling sitzt nach Ende der Lesung noch mit dem Publikum zusammen, viele kennen sich untereinander. Veranstalter Hans Litsauer ist beeindruckt, die Eloquenz und Aussagen der Aktivistin haben ihn positiv überrascht. Dem angekündigten Klimaprotest nächste Woche könne er leider nicht beiwohnen, da sei er verhindert, aber „wiederkommen kann sie gerne.“ Litsauer zapft das letzte Bier, dann gehen die Lichter aus. Morgen, wenn die Sonne erneut durch die Scheiben fällt, gibt es dann wieder Melange.