Interview: Verschärfung des Tons

Der Fall Bettauer zeichnet ein Bild der Wiener Gesellschaft zu Beginn der 1920er-Jahre, dem allerdings auch so manche Parallelen zu heutigen Verhältnissen abzugewinnen sind.

Interview von Wolfgang Sorgo mit Hans Rauscher

In welcher Form? Diese und ähnliche Fragen haben wir im Folgenden dem in der Josefstadt lebenden Starkolumnisten Hans Rauscher gestellt.
Wer kennt nicht seine Kolumnen auf der Titelseite des „Standard“?

Sie beziehen in Ihren Glossen zumeist sehr explizit zu wichtigen Tagesfragen Stellung. Wenn Sie zurückblicken: Wie haben sich die Reaktionen Ihrer Leserschaft im Lauf der Zeit verändert?

Im Vergleich zu vor etwa zwanzig Jahren hat es sicher eine Verschärfung des Tons gegeben. Die Neigung der Poster (im Internet, Anm.), die ja überwiegend anonym sind, sich aufzuregen, zu Beschimpfungen und zum Teil auch zu Drohungen überzugehen, ist stark gestiegen.

Wie reagieren Sie darauf?

Da gibt es ein Phänomen: Wenn man ziemlich hart und scharf antwortet, kommt oft die Reaktion: „Ich hätte nie gedacht, dass Sie mir überhaupt antworten werden.“ Das sind sehr oft frustrierte Leute, die etwas loswerden wollen, dann aber positiv überrascht sind, wenn man auf sie eingeht.

Gibt es auch physische Drohungen?

Ausgesprochen unangenehme Drohungen kommen zumindest ein paarmal im Jahr vor. Das landet dann manchmal auch vor Gericht. Etwa „Solche wie Sie gehören in einem Viehwagon in den Osten geschickt“ oder „Sie gehören an die Laterne“. Das war zum Beispiel ein Beamter im Ruhestand, der dann auch verurteilt wurde. Jemand hat auch einmal mein Postkastl im Haus beschmiert oder einer hat einmal meine Frau angepöbelt, wieso sie mit so einem wie mir verheiratet sein könne. Ich war Gott sei Dank in der Nähe und konnte den dann zur Rede stellen. Es gibt nicht wenige – ich muss sagen: Männer –, die sich an der Grenze bewegen.

Worauf führen Sie es zurück, dass sich die Sprache so verschärft hat?

Es kann sich heute ein jeder Narr durch die Möglichkeit, ein E-Mail abzuschicken, oder über betreffende Foren artikulieren. Das ist natürlich viel einfacher, als wie früher einen Brief zu schreiben, ihn zu frankieren und in den Postkasten zu werfen. Es ist aber überhaupt eine Verrohung des öffentlichen Diskurses festzustellen, das ist keine Frage. Neue Maßstäbe gesetzt hat da die aggressive Tonart der FPÖ, aber auch von anderen, vor allem in der Covid-Zeit. Diese neue Tonart erscheint vielen plötzlich selbstverständlich, sie meinen: „Das geht eh.“

Hat das nicht auch atmosphärische Ursachen?

Es ist meines Erachtens natürlich im Alltag eine erhöhte Gereiztheit festzustellen, eine gesteigerte Bereitschaft zur Empörung – Wutbürger zu sein scheint ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend zu sein.

Verglichen mit dem Fall Bettauer: Ist der Übergang von der verbalen Gewaltbereitschaft zu realer Gewalt heute ebenso vorstellbar?

In dieser Breite glaube ich nicht. Wenn man die 20er-Jahre analysiert, war zunächst einmal das soziale Elend viel größer, dann stand im Hintergrund ein verlorener Krieg mit dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches, weiters eine bodenlose Inflation. Vor allem das Kleinbürgertum hatte enorm an Vermögen und Status verloren und – nicht zu vergessen – es war erlaubt, Antisemit zu sein. Wenn man sich etwa die Äußerungen des Christlichsozialen Politikers Leopold Kunschak – der hat ja für die physische Extermination der Juden plädiert – oder des Bürgermeisters Karl Lueger vor Augen führt. Öffentlicher Antisemitismus in der Politik ist heute tabu.

… und die Ausländerhetze?

Dass es zur Gewalt gegen die sogenannten Ausländer kommen könnte, glaube ich auch weniger, denn dazu sind es zu viele. Diese Selbstverständlichkeit, darüber zu reden, dass man eine andere Volksgruppe ausmerzen soll, gibt es heute nicht. Außerdem fehlt diese massenhafte soziale Spannung, weil die Kluft zwischen Arm und Reich doch noch nicht so groß ist. Und nicht zu vergessen: Die Justiz war damals vollkommen durchsetzt von Deutsch-nationalen und Nazis. Die Justiz ist heute wesentlich aufgeklärter.

Haben Sie selbst nicht doch manchmal physische Angst?

Ganz unbefangen kann man natürlich nicht sein, es gibt da immer den einen oder anderen aufgehetzten Psychopathen, da wäre schon was möglich.
Ganz draußen lassen würde ich es nicht.

Wir danken für das Gespräch!


Das ausführliche Gespräch können Sie in  unserem Podcast nachhören.

ZUR PERSON: Hans Rauscher (78) war 1970 bei der Gründung von „Trend“ und „Profil“ dabei und von 1975 bis 1996 – zuletzt als Chefredakteur – beim „Kurier“ tätig, wo er anfangs die Glosse auf der Titelseite verfasste. Seit 1997 ist Rauscher Kolumnist bei der Tageszeitung „Der Standard“ und bei der Wochenzeitschrift „Format“. Er lebt in der Josefstadt.

Mehr zum Fall Bettauer lesen Sie hier: Die Hinrichtung eines Journalisten


Ausgabe 04/2022