„Je schlimmer die Krise, …

… desto ruhiger werde ich“.

Mit realistischer Planung und optimistischem Blick in die Zukunft: Wie sieht es hinter den Kulissen eines Theaters zwischen Corona-Betrieb und Lockdown aus? Wir haben bei Julia Schafranek, Direktorin des Vienna’s English Theatre, nachgefragt.

von Caro Wiesauer

Kaum hatte das Vienna’s English Theatre die neue Saison eröffnet, musste es, wie alle Kulturbetriebe, auch schon wieder schließen. Julia Schafranek, künstlerische Leiterin des Hauses, hatte „nicht gerade euphorisch, sondern mit Bauchweh wieder aufgemacht. Finanziell wäre es besser gewesen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit zu lassen, bis alles vorbei ist.“ Die Covid-19-Auflagen für Theaterbetriebe waren bekanntlich streng, unter anderem musste die Auslastung auf 50 Prozent reduziert werden.

Dass das künstlerische Team aus Großbritannien kommt, bedeutet für das englischsprachige Theater ein zusätzliches Risiko. Reisebeschränkungen können sich täglich ändern und durch nur einen Corona-Verdachtsfall kann eine Truppe für Wochen im Hotel festsitzen. „Da denkst du dann: Wie soll ich das im Ernstfall finanzieren?“

Letztlich sah Schafranek die Wiedereröffnung aber als ihre Verpflichtung: „Unser Publikum verdient es, nicht auf Kultur verzichten zu müssen. Es hat auch seinen Beitrag dazu geleistet.“ Viele Abonnenten hatten in der Zeit des ersten Lockdowns sogar ihre Karten gespendet.

Schlanke Besetzung

Zum Saisonstart wählte sie das Zwei-Personen-Stück „Educating Rita“ von Willy Russell. „Ich dachte: Okay, wenn wir kurzfristig absagen müssen, wird es uns in der schlanken Besetzung nicht zugrunde richten.“ Unter peniblen Sicherheitsvorkehrungen ging alles gut, die Auslastung im September und Oktober war mit 80 Prozent hoch. „Nur ein paar ältere Abonnenten haben sich nicht getraut zu kommen.“

Zu Probenbeginn für die nächste Produktion, Graham Greenes „Travels With My Aunt“, läuteten bereits die Alarmglocken: „Es war absehbar, dass die Corona-Situation wieder schlechter wird.“ Trotzdem arbeiteten alle mit Optimismus auf die Umsetzung hin.

Am Premierentag, dem 2. November, wusste man bereits, dass die Theaterhäuser wieder schließen müssen und es bis auf Weiteres bei dieser einen Aufführung bleiben würde. Das Ensemble spielte mit Liebe, Energie und Leidenschaft.

Gegen Ende der Pause bekam die Theaterleiterin die Nachricht vom Attentat. Manche Zuschauer sahen gerade noch erste Informationen auf ihren Handys und suchten schnell ein Taxi. Schafranek: „Ich war hin- und hergerissen. Geh ich auf die Bühne? Soll ich alles, was so toll war an dem Abend, zerstören, die Schauspieler um ihre Anerkennung bringen?“ Sie entschied sich dagegen. „Wir dürfen uns das Leben, die Kunst nicht nehmen lassen.“

Erst nach dem Schlussapplaus gab sie die furchtbaren Informationen aus der Wiener Innenstadt möglichst schonend weiter. Etwa 20 Leute, die nicht wussten, wie sie heimkommen sollten, blieben bis 2 Uhr früh. Schafranek holte Gitarren aus dem Fundus und die Schauspieler gaben ihr Bestes. „Es war so eine Verbundenheit zu spüren. Alle haben danach geschrieben und sich bedankt. Seltsam, je schlimmer die Krise, desto ruhiger werde ich.“

 

Drei mögliche Spielpläne

Mitte Dezember muss Julia Schafranek entscheiden, wie und ob es im Jänner weitergeht. Drei mögliche Spielpläne hat sie, je nach Corona-Lage, bereits in petto. Trotz der wirtschaftlichen Belastung kann sie der Krise etwas abgewinnen. Die Unterstützung des Publikums – aber auch die von Stadt und Bund – sei bestärkend, das Grundbedürfnis der Menschen nach Kultur sichtbarer geworden. „Kulturschaffende leben durch ihre Kunst. Und sie nähren sich am Verlangen des Publikums.“

Vienna‘s English Theatre. Josefsgasse 12
+43 1 402 12 60-0, tickets@englishtheatre.at
www.englishtheatre.at


Ausgabe 04/2020