Mensch Mama – Jammern auf hohem Niveau?

Entscheidungen sind mir schon immer schwergefallen, damals wie heute. Als junges Mädchen dachte ich tatsächlich, dass meine Berufswahl mein Leben vorzeichnen würde.

Von Nathalie Kroll

Als es mit den Jahren immer näher auf den Schulabschluss zuging, Ende der neunziger Jahre, verlor ich mich in einer Welt aus Optionen und fehlender Unterstützung. Ich hatte Träume, aber manchmal sind Träume nicht genug.

Nach der Matura schien mir der einzige Ausweg, einfach irgendetwas zu studieren. Die Wahl fiel auf Volkswirtschaftslehre: möglichst breit aufgestellt, um sich viele Möglichkeiten offen zu halten. Ich habe mein Studium durchgezogen, es hat knapp für eine vernünftige Note gereicht, mehr aber auch nicht. Ich hatte Glück. Glück mit meinen Weggefährten, dem studentischen Leben und tatsächlich auch mit den anschließenden Jobs. Ich habe mein Hobby nicht zum Beruf gemacht (mein purer Neid an all diejenigen, die das von sich behaupten können), aber ich gehe gerne zur Arbeit und ich glaube, damit habe ich vielen schon einiges voraus. Bis heute begleitet mich das Gefühl, nicht das gemacht zu haben, was ich wirklich machen wollte.

War mein Weg der für mich richtige? Mein berufliches Leben wäre anders verlaufen, hätte ich mich ausprobiert, hätte ich meinen damaligen Wünschen eine Chance gegeben. Damals wollte ich reisen, Dokumentarfilme drehen, Bücher schreiben, Journalismus oder „irgendwas mit Sprachen“ studieren. Irgendwo in dieser Welt aus Kultur und Sprachwissenschaften habe ich mich gesehen. Aber vielleicht die Welt mich nicht.

Warum ich das schreibe? Weil ich mir meine Vorstellungen vom Leben habe ausreden lassen. Von mir selbst, weil ich dachte, andere seien besser und geeigneter dafür. Vor allem auch von Lehrern, die mir bescheinigten, dass es mit meinem Gespür für das geschriebene Wort nicht weit her sei. Vieles von dem, was Menschen einem sagen, hält nach. Worte, gesprochen und unausgesprochen, prägen und entfalten eine Wirkung bis in die kleinsten Verzweigungen unseres Seins.

Nachhaltigkeit ist nicht nur der achtsame Umgang mit Umweltressourcen. Nachhaltig ist auch die Qualität unserer Erziehung durch Familie, Schule und Mitmenschen. Jetzt ist es mein Job, meinem Sohn ein Fundament mitzugeben, damit er selbstbewusst für seine Träume eintritt und aus ihnen eine Überzeugung erwachsen lässt. Denn an dieser Stelle ist es bei mir gescheitert. Ohne eine Überzeugung ist es schwer, die Steine zu überwinden, die einem immer wieder den Weg versperren.

Manuel ist jetzt eineinhalb Jahre alt und weit entfernt von Entscheidungen bezüglich seiner Berufswahl. Er entdeckt jetzt die Welt und dreht jeden Stein um. Sein liebstes Spiel aktuell lautet: „Wo sind Mamas Grenzen?“ Und wo diese Grenzen sind, das wüsste ich manchmal selbst gerne.

Vielleicht habe ich sie, im übertragenen Sinne, noch nicht erreicht. Meine Mutter sagt immer: Zum Lernen ist es nie zu spät. Eine schöne Aussage, aber wie viel steckt von ihr in mir? Wäre es nicht eine nachhaltig wichtige Erkenntnis für meinen Sohn, wenn er sieht, dass seine Mama sich auch später noch ihre Wünsche erfüllt? Diese kleine Kolumne ist auf jeden Fall ein Teil davon!

Ausgabe 03/2022