Mobbing – Wenn der Schulalltag zum Albtraum wird

Von Marie Clausen

„Nur ein paar Stunden, dann bist du wieder zu Hause“, sagte sie sich jeden Morgen als sie vor der Schule stand.
Abends im Bett hoffte sie, dass sie krank wird, Grippe oder Kopfschmerzen, damit sie am nächsten Tag zu Hause bleiben kann.
Jeden Dienstag vor dem Schlafengehen betete sie. Sie bat Gott ihre Mitschüler:innen netter zu machen, sie bat Gott gut in Englisch zu werden, um nicht immer von ihrer Klasse ausgelacht zu werden.
Ihr erstes Referat, das sie den ganzen Abend mit ihrem Vater durchgegangen ist, damit es perfekt wird, kommentierte die Lehrerin mit: „Das war ja sogar schlechter als das von Julius“ – die gesamte Klasse brach in Gelächter aus. Ihr zweites Referat wollte sie nicht halten, und machte die ganze Nacht kein Auge zu. Während dieses Vortrags deutete sie mit der Hand auf das (dafür angefertigte) Plakat und begann zu zittern – wieder ertönte hämisches Lachen von allen Seiten.

Von den Mädchen ausgeschlossen

Sie hasste den Turnunterricht, obwohl sie Ballspiele liebte und darin auch recht gut war, jedoch wurde sie bei Mannschaftsspielen immer als Letzte in ein Team gewählt. Sie wurde permanent von den Mädchen in der Klasse ausgeschlossen. Wenn jemand Geburtstag hatte, wurden Einladungen für die ganze Klasse verteilt. Sie bekam nie eine.
Einmal wurde sie im Winter von einer Klassenkollegin zu einer Schneeballschlacht vor der Schule überredet. Sie hatte sich so gefreut. Aber sobald sie ihre Schultasche abgestellt hatte, ertönte ein „Jetzt!“ und alle ihre Klassenkolleg:innen schossen sie mit harten Eisbrocken ab. Sie weinte den gesamten Heimweg lang.

„Warum ich?“

Dieses Mädchen war ICH vor mehreren Jahren und ich werde es auch immer bleiben. Trotz meines Schulwechsels konnte ich bis zur Matura keine Referate halten. Meine Hände haben immer gezittert und ich habe oft meinen Text vergessen, den ich bei der Vorbereitung auswendig hätte aufsagen können. Ebenso habe ich nie meine Angst vor dem Englischreden überwunden. Sogar als ich fast immer die beste Englischschularbeit der Klasse hatte – selbst dann habe ich mich nicht getraut, im Unterricht Englisch zu sprechen. Diese jahrelange Erfahrung von psychischer Gewalt und die Angst, ausgelacht zu werden, waren größer als mein Verstand, der genau wusste, dass ich mittlerweile fließend Englisch sprechen konnte.

Ich bin nicht die Einzige, die solche schlimmen Erfahrungen machen musste, ich bin auch nicht eine von wenigen. Ich bin eine von vielen, die durch Mobbing ein Leben lang geprägt ist und noch Jahre später mit ihrem Selbstwertgefühl zu kämpfen hat sowie mit der Frage: „Warum ich?“

 

 

Was ist Mobbing?

Der Begriff Mobbing bezeichnet eine spezielle Form von Gewalt und ein schadhaftes, antisoziales Verhalten, das langanhaltende Folgen für alle Involvierten mit sich bringt. Mobbing hat verschiedene Erscheinungsformen. Die häufigsten sind das physische Mobbing, das verbale Mobbing und das Cybermobbing.

Ursachen und Folgen von Mobbing

Die Schuld liegt nie beim Opfer!

Mobbingtäter:innen achten auf gewisse Persönlichkeitszüge, wie Ängstlichkeit und geringes Selbstvertrauen oder das Aussehen ihrer Opfer und verwenden diese als Grund ihrer Attacken. Sie wollen dadurch Überlegenheit und Macht demonstrieren, Schwächen kompensieren, Aufmerksamkeit erregen oder ihren Status innerhalb einer Gruppe erhöhen.

Meine Mobberin war ein Mädchen, welches ihren Status in der Klasse heben wollte. Sie gründete mit fast allen Mädchen aus unserer Klasse eine Clique – zusammen machten sie mich zur Zielscheibe ihrer Gewalt. Mit gemeinen Kommentaren, Gelächter bei einer falschen Antwort im Unterricht und einem Verbot für die Mitglieder der Clique mit mir zu reden, sicherte sich das Mädchen Dominanz und machte mir gleichzeitig den Schulalltag zur Hölle.
Die Verantwortung für einen Mobbing-Vorfall liegt nicht nur bei der Täterin oder dem Täter. In den meisten Fällen, wie auch bei mir, sind andere Personen in der Nähe, versuchen aber nicht, den Vorfall zu verhindern. Würden diese bereits bei der ersten Attacke einschreiten, hätte Mobbing keine Chance, denn Mobber:innen sind von den Meinungen ihrer Mitschüler:innen abhängig. Aber wer gibt schon gerne die Geborgenheit als Mittäterin oder Mittäter für Gerechtigkeit auf, wenn man dann selbst zum Opfer werden könnte?

Mobbing hat sowohl für die Opfer als auch für die Täter:innen langfristig negative Konsequenzen. Die Mobbingopfer fühlen sich hilflos und haben oftmals ein negatives Selbstwertgefühl. Mobbing kann aber auch zu Alkohol- und Suchtmittelmissbrauch bis hin zu Depression und Suizid führen.
Die Täter:innen haben in den meisten Fällen ein kaum ausgeprägtes Einfühlungsvermögen, zeigen wenig prosoziale Kompetenzen und haben eine mangelhafte Moralentwicklung. Ihr Defizit an Sozialverhalten führt zu aggressivem-dissozialem Verhalten, wodurch sie auch vermehrt in Vandalismus und Schlägereien involviert sind.

Fallzahlen

In den letzten Jahren sind die Fallzahlen bei Mobbing in der Schule zwar rückläufig, jedoch ist das Cybermobbing stark angestiegen. Eine neue Studie zeigt, dass es in Zeiten der Pandemie zu einer erhöhten Anzahl an Vorfällen kam. 30 Prozent der Befragten haben erlebt, dass ihnen die Teilnahme am Onlineunterricht absichtlich schwergemacht wurde und 22 Prozent, dass jemand während des Onlineunterrichts beschimpft oder verspottet wurde.

Es muss mehr gegen Mobbing unternommen werden!

Eltern müssen ihre Kinder über das Thema aufklären und dadurch verhindern, dass ihr Kind Opfer oder Täter wird. Die Schulen sollten sich aktiver mit der Mobbingprävention auseinandersetzen. Die Lehrer:innen sollten geschult werden, um mit einer Mobbingsituation besser umgehen und einschreiten zu können. Aber auch die Schüler:innen sollten sich aktiv mit dem Thema Mobbing auseinandersetzen, um der Situation nicht hilflos gegenüberzustehen.

Ich selbst war hilflos. Meine Klassenvorständin hat die ständigen Angriffe ignoriert. Meine Eltern haben damals mehrmals mit dem Direktor und den Eltern der Täterin telefoniert, jedoch wurde das Ganze kleingeredet oder es wurde ihnen gesagt: „Nehmen Sie sie halt von der Schule.“
In meiner Lage war der Schulwechsel die einzige Lösung und ich bin froh, dass ich den Schritt gewagt habe. Mittlerweile ist meine Matura fast ein Jahr her. Mir geht es viel besser als damals. Mithilfe meiner Familie und Freund:innen werde ich bald die ganze Mobbinggeschichte hinter mir lassen können. Es ist ein weiter und harter Weg, aber irgendwann kann man damit abschließen und man realisiert, dass es wirklich nicht die eigene Schuld gewesen ist.

Mobbing-Beratung in der WIENXTRA-Jugendinfo

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• Jeden 3. Dienstag im Monat, 15:30-18:30

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