Opinion: Es wird immer kälter

von Deborah Sengl

Und damit meine ich nicht das meteorologische Klima, sondern jenes in unserer Gesellschaft. Wir leben in einer Zeit, die stärker denn je von Ängsten geprägt ist. Politik und Medien verstehen es ganz wunderbar, diese permanent zu schüren und über diese ihre Anhänger- und Leserschaft zu rekrutieren. Alles und jeder taugt zur Bedrohung unserer individuellen Bedürfnisse. Anstatt das unübersehbare existenzielle wie ideologische Auseinanderdriften konstruktiv und nachhaltig zu bekämpfen, reiben wir uns lustvoll in Lagerbildung und damit einhergehendem Hass. Empathie scheint nicht nur buchstäblich zu einem Fremdwort geworden zu sein.

Besonders auffällig ist dies im Zusammenhang mit der sogenannten Flüchtlingskrise zu erkennen. Viele in Europa haben diesen in Not geratenen Menschen gegenüber eine große Hilfsbereitschaft und Offenheit gezeigt und tun dies noch immer. Ein nicht geringer Teil begegnet den Geflüchteten jedoch mit kategorischer Ablehnung und Diskriminierung. Die Bereitschaft, sich mit ihren persönlichen Geschichten und den Beweggründen ihrer Flucht auseinanderzusetzen, ist kaum bis gar nicht vorhanden. Natürlich kann bzw. sollte man einer undifferenzierten pauschalen „Willkommenskultur“ auch kritisch gegenüberstehen und die Motive einzeln überprüfen.

Also raus aus unseren selbstreferenziellen Komfortzonen und Echokammern! Begegnen wir anderen mit Neugier, Respekt und Offenheit. Wir können dabei nichts verlieren. Ganz im Gegenteil.

ZUR PERSON: Deborah Sengl ist in der Josefstadt aufgewachsen, wo sie bis heute lebt. Die Arbeiten der gefragten bildenden Künstlerin sind seit 1995 in Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen. Ihre viel diskutierte Interpretation der „Letzten Tage der Menschheit“ (nach Karl Kraus) war u. a. im Essl Museum, in Bratislava und Tirana zu sehen. Aktuell läuft bis Ende 2020 ihr Projekt „ESCAPE!“ im MuseumsQuartier in Wien. Die künstlerische Intervention zum Thema Flucht ist in enger Zusammenarbeit mit „Time-Busters“ und der Organisation „Fremde werden Freunde“ entstanden.

www.deborahsengl.com
www.mqw.at/ihr-besuch/escape


Ausgabe 01/2020