Persönliche Erinnerungen – Volksschule in der Lerchengasse 19
Wenn ich an meine Volksschulzeit in der Lerchengasse 19 denke und im heutigen Tigerpark stehe, dann kommt mir sofort das vielleicht weniger bekannte Lied von Madonna in den Sinn:
„This used to be my playground.
This used to be my childhood dream
This used to be the place I ran to
Whenever I was in need of a friend.” …
von Andrea Skvarits
Früher, als ich Kind war, gab es hier noch keine Bäume und Sträucher, keine Parkbänke zum Verweilen und auch keinen Spielplatz mit Schaukeln und einer Sandkiste.
Nein – hier stand meine Volksschule – die öffentliche Volksschule für Knaben und Mädchen. In diesem dunklen, aber ehrfürchtigen Gebäude mit vier Stockwerken habe ich lesen, schreiben gelernt. Durfte kreativ sein, habe die Geschichte meiner Stadt Wien erfahren und viele neue Freundschaften schließen können.
Sehr oft sind es ganz markante Gerüche, die helfen, Details, Eindrücke und Szenen aus der Vergangenheit wieder ins Bewusstsein zu holen …
Ich schließe meine Augen und rieche …
- die alten, eingeölten dunklen Holzböden in den Klassenzimmern …
- die bunten Ölkreiden in ihren kleinen Holzschachteln mit dem Geruch von Paraffinwachs, die ein wenig schmierig auf dem Zeichenpapier wirkten …
- den Turnsaal mit dem eindeutigen Geruch von alten, braunen, ledrigen Medizinbällen, umhüllt in einer Mischung aus abgestandenem Schweiß und Staub aus lang vergangenen Tagen. Hier wurde „Leibesübungen“ unterrichtet, wie es damals noch im Zeugnis stand.
Der Turnsaal war für heutige Verhältnisse eher klein und doch haben viele Generationen hier Bockspringen, Felge-Aufschwung, Völkerball, Wettkämpfe mit den schweren Medizinbällen und andere sportliche Aktivitäten absolviert. Wir Kinder aus der Tagesheimschule haben den Turnsaal aber auch für diverse Faschingsfeste oder andere Feiern genutzt.
Viele Treppen zu steigen
Ich kann mich noch ganz genau an das Treppenhaus, das gleich nach dem Eingang zu sehen war, und den Lärm von Kindergeplapper erinnern. Meine Klasse war in den oberen Stockwerken. Im letzten Stock befand sich die Tagesheimschule – bzw. der Hort. Hier habe ich vier Jahre meiner Volksschulzeit verbracht, gemeinsam mit meinen Schulkolleg:innen die Hausaufgaben gemacht, gespielt, gebastelt, Wanderausflüge gemacht – alles in allem eine wunderschöne Zeit, an die ich gerne zurückdenke.
An ein weiteres Detail kann ich mich auch noch sehr gut erinnern: nachdem sich der Hort für die Volksschulkinder im 4. Stock befand, war es für manche berufstätigen Mütter, Väter und vor allem Omas und Opas recht mühsam, so viele Treppen zu steigen, um ihre Sprösslinge abzuholen. Man kam auf die gute Idee einer Gegensprechanlage und schon war das „Abholen“ für alle Beteiligten leichter. Es machte auch uns Kindern Spaß. Es wurde nämlich abwechselnd ein Kind eingeteilt, das beim Telefon saß und fragte, wer denn abgeholt sei. Dann lief es ins jeweilige Zimmer und rief z. B. „Susi, du bist abgeholt!“.
Ich war öfters beim Abhol-Telefon eingeteilt. Man musste ja die Namen kennen und auch wissen, in welcher Gruppe die einzelnen Kinder der vier Volksschulklassen zu finden waren.
Ich bin mir damals so wichtig vorgekommen! Wie schön!
Frau Lehrerin Lenz
Wenn ich an meine Volksschulzeit denke, tritt natürlich die „Hauptperson“ dieser Zeit auf die Bühne: die Frau Lehrerin Anna Lenz. Vor meinem inneren Auge steht vor mir: eine sehr attraktive Frau mittleren Alters mit dunklen, gewellten Haaren. Frau Lehrerin Lenz war eindeutig eine Respektsperson, die streng sein konnte, alle Kinder gleich fair behandelte und ein Herz aus Gold hatte. Sie hat bei jedem Kind die jeweiligen Stärken und Schwächen erkannt und dementsprechend und ausdauernd gefördert. Ich bin ihr bis zum heutigen Tag dankbar, dass sie mich umsichtig geführt, manchmal auch getadelt und vor allem die vielen „Samen“ der Interessen und Neigungen, wie zum Beispiel das Theaterspielen, für mein weiteres Leben gesetzt hat. Vielen Dank dafür.
Chronik der Volksschule Lerchengasse
Die VS Lerchengasse 19 war eine öffentliche Volksschule in der Josefstadt.
Schulgründung
Das Schulgebäude in der Lerchengasse 19 wurde im Jahr 1875 eröffnet. Es handelte sich um eine Volksschule für Knaben und Mädchen. Die im Gebäude Tigergasse 4 untergebrachte Doppelschule übersiedelte im Jahr 1876 in dieses neu erbaute Schulgebäude. Jede der beiden Schulen hatte ihren eigenen Eingang, wobei im Norden die Mädchenschule und im Süden die Knabenschule lag.
Zwischen 1820 und 1824 wirkte an der Vorgängerschule, der Tigergasse 4, Ferdinand Schubert, der Bruder des Komponisten Franz Schubert, als Schulleiter. Er soll großen Anteil an der Volksschulreform von 1849 gehabt haben.
Erster Weltkrieg
Ab 27. Oktober 1914 war das Schulgebäude für militärische Zwecke belegt, weshalb die Schule vorübergehend in der Zeltgasse 7 untergebracht wurde. Ab Herbst 1918 war sie wieder in ihrem eigenen Gebäude zu finden.
NS-Zeit
In der NS-Zeit wurde der Turnsaal von der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädchen mitbenutzt.
In den späten 1930ern besuchte Manfred Nidl, heute besser bekannt als Freddy Quinn, die Schule in der Lerchengasse 19. (derAchte berichtete)
Schulauflösung
Die Auflösung der Schule Lerchengasse 19 ging 1955 vonstatten. Danach zog die Schule aus der Josefstädter Straße 95 ein, ehe der Schulbetrieb 1967 endgültig eingestellt wurde. Dies ging mit der Einrichtung der neuen Schulen in der Pfeilgasse 42b einher. Zur Demolierung des Gebäudes kam es vermutlich zwischen 1977 und 1978. Heute steht an der Stelle des ehemaligen Schulgebäudes der 1995 eröffnete Tigerpark.