Prädikat wertvoll

Drehteams bei der Arbeit im Achten sind keine Seltenheit. Ob „Vorstadtweiber“, „Tatort“ oder „Schnell ermittelt“ – alle finden im Achten die geeignete Filmkulisse.

Dass man hier auch alles findet, was ein Film braucht – vom Kameraverleih über Produktionsfirmen und Filmverleih bis zu Drehbuchautor*innen, Filmmusiker*innen, Schauspieler*innen und einem sehr aktiven Verein für Analogfilm – wissen nur die wenigsten.

Von Elisabeth Hundstorfer

Das letzte Kino der Josefstadt, das Albertkino, wurde 1990 geschlossen. Als cineastisches Highlight bietet das Open-Air-Filmfestival dotdotdot jeden Sommer im romantischen Garten des Volkskundemuseums großartige Kurzfilme aus der ganzen Welt. Außerdem beherbergt die Josefstadt abseits des Mainstreams Filmemacher*innen, die wunderbare Filme drehen.
So die 25-jährige Marie Luise Lehner. Ihr Kurzfilm „Geh Vau“ eroberte 2020 die „Heimkinos“ und war bei dotdotdot an zwei ausverkauften Abenden zu sehen. „Geh Vau“ kann aktuell kostenlos in der Sammlung von Cinema Next im kinoVODclub gestreamt werden.

Multitalent Lehner

„Ich arbeite gerade an einem Film mit dem Titel ‚Mein Hosenschlitz ist offen. Wie mein Herz.‘ Es ist eine Geschichte über die erotischen Träume einer jungen Frau. Hoffentlich erscheint er ganz bald. Wir hatten wegen Corona einige Zeitverzögerungen. Momentan sind wir im Endspurt des Sounddesigns. Voraussichtlich sind wir Anfang April fertig“, so Lehner, die am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst sowie Drehbuch an der Filmakademie Wien studiert. Sie ist auch als Autorin sehr erfolgreich und hat 2017 gleich mit ihrem ersten Roman „Fliegenpilze aus Kork“ den Literaturpreis Alpha gewonnen.
Damit nicht genug, steuerte die Josefstädter Filmemacherin als Teil der feministischen Wiener Punkband Schapka auch die Musik zu ihrem Film „Geh Vau“ bei.

Gegenüber dem Magazin „The Gap“ sagte Marie Luise Lehner: „Der Film ist nicht sexistisch und im Film gibt es Frauen, die einen Charakter besitzen, aktiv handeln und die einander etwas zu sagen haben. Aber es stört mich nicht, wenn der Film als ,feministisch‘ beschrieben wird, es ist ein tolles Adjektiv, das für mich mit ganz vielen positiven Eigenschaften einhergeht. Es ist vielleicht eine andere Art zu sagen: ,Prädikat wertvoll‘ oder ‚guter Film‘.“

Cinema Next

Auch Leni Gruber studiert an der Filmakademie und wohnt im Achten: „Viele Bekannte aus meinem kreativen Umfeld sind im 8. beheimatet oder haben beruflich hier zu tun. Wir treffen uns regelmäßig zum Kaffeetrinken, gehen spazieren und tauschen uns aus.“
Als gebürtige Oberösterreicherin hat sie mit dem Kurzfilm „Schneemann“ 2018 beim Filmfestival „Crossing Europe“ in Linz den Local Artist Award erhalten. „Schneemann“ ist ein sehr authentischer Film über eine junge Frau, die auf der Suche nach Halt ist. So klammert sie sich an eine Holzstatue, die ihr Vater, ein Bildhauer, geschnitzt hat. Antonia, die sympathische Protagonistin, könnte aber genauso eine Frau um die fünfzig sein.
„Aktuell schneide ich meinen neuen Kurzfilm ,Hollywood‘, eine 30-minütige Komödie über die 26-Jährige Anna, die fest daran glaubt, als Schauspielerin irgendwann den Durchbruch zu schaffen. Die Hauptrolle verkörpert Marlene Hauser. Sie ist am Theater an der Josefstadt beschäftigt“, so Leni Gruber über ihre aktuelle Arbeit.
Leni Grubers Film erhielt im Sommer 2020 den dotdotdot-­Publikumspreis. Auch „Schneemann“ kann kostenlos in der Sammlung von Cinema Next im kinoVODclub gestreamt werden.
Das Open-Air-Kurzfilmfestival dotdotdot flimmert heuer voraussichtlich von 25. Juli bis 24. August über die Leinwand. Alles rund um das Festival gibt es in der nächsten Ausgabe von „der Achte“!

www.vodclub.online, www.dotdotdot.at

„Die Dohnal“

Viele Premieren fielen der Pandemie zum Opfer. Manche Filme konnten zwar noch offiziell mit Publikum starten, dann aber nur mehr gestreamt werden, so wie „Die Dohnal“. Dieser Dokumentarfilm von Sabine Derflinger zeigt die Ikone der österreichischen Frauenbewegung Johanna Dohnal (1939–2010). Eine bis heute unerreicht kluge Politikerin, von deren Errungenschaften für die Frauen in der Zweiten Republik wir alle heute noch zehren. Der Film wird über die Josefstädter Firma Filmdelights von Christa Auderlitzky vertrieben. Als Vertreterin junger Feministinnen ist im Film übrigens die Josefstädter Rapperin Yasmo zu sehen.
Der Kurzfilm „Mr. Trump feiert Thanksgiving“ der Josefstädterin Katrin Butt, mit Isabella Hübner – bekannt aus „Sturm der Liebe“ – in der Hauptrolle, fiel Corona gänzlich zum Opfer und konnte der breiten Öffentlichkeit bis jetzt noch nicht vorgestellt werden. Zumindest ist Trump als US-Präsident Geschichte – Corona wird uns wohl noch länger beschäftigen.

Die filmkoop versteht sich als offene Künstler*innen-Kooperative, die Interessierten mit und ohne künstlerische Ausbildung zugänglich ist.

filmkoop wien

Die filmkoop wien wurde vor über zehn Jahren von Absolvent*innen der Film- und Fotoschule Friedl Kubelka gegründet und hat im Gemeindebau Theresa-Schlesinger-Hof ihre Vereinsräumlichkeiten. „Hier gibt es das Equipment und den Ort für das selbstständige Arbeiten mit Super 8, 16 mm, 35 mm“, so Manuel Götz und Marina Rebhandl von der filmkoop. „Die filmkoop versteht sich als offene Künstler*innen-Kooperative, die Interessierten mit und ohne künstlerische Ausbildung zugänglich ist. Unsere Mitglieder sind vorwiegend Filmemacher*innen, aber es sind auch viele Fotograf*innen bei uns“, erklärt Vorsitzender Manuel Götz.
„Die Dunkelkammer ist das Herzstück des Vereins. Hier können – mittlerweile einzigartig in Österreich – noch Analogfilme in unterschiedlichen Formaten entwickelt und anschließend an den Schneidetischen bearbeitet werden“, so die Filmemacherin Marina Rebhandl.
Die Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag von 300 Euro (oder 28 Euro pro Monat) und werden in Workshopreihen auf die Geräte eingeschult. Der Erhalt von Wissen über die Arbeitsweise mit Filmmaterial im Labor und dessen Weitergabe ist ein vorrangiges Vereinsziel.
Auch Filmscreenings tragen zum regen Vereinsleben bei. Die analogen Kurzfilme werden nicht nur im hauseigenen Kino gezeigt, sondern auch auf dem einen oder anderen Festival wie der Diagonale oder der Viennale. Weltweit ist man sensationell vernetzt. Größen des internationalen Filmschaffens legen bei Europareisen gerne einen Zwischenstopp für einen Vortrag oder Workshop in der Wickenburggasse ein. Mit internationalen Filmlabs bildet die Koop ein Netzwerk rund um den Erdball.

▶ filmkoop. Wickenburggasse 15/Stiege 3 (Innenhof)
www.filmkoopwien.at

Therese Schlesinger

Der Schlesinger-Hof ist ein sehr passender Ort für die filmkoop wien. Inhalt vieler Kurzfilme ist die Selbstbestimmung. Therese Schlesinger wurde 1863 als Tochter eines jüdischen Papierfabrikanten in Wien geboren. Im Betrieb ihrer Eltern lernte sie die Lebensbedingungen der Arbeiterschaft kennen. Sie engagierte sich in der bürgerlichen Frauenbewegung und trat 1901 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei. In ihren Texten forderte sie unermüdlich das Frauenwahlrecht und die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium. 1902 wurde sie Mitbegründerin des Vereins sozialdemokratischer Frauen und Mädchen. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte sie der Konstituierenden Nationalversammlung und dem Nationalrat (1919–1923) an, anschließend war sie bis 1930 Bundesrätin. Sie starb 1940 im französischen Exil. Für Filmstoff wäre also gesorgt.
▶ Therese-Schlesinger-Hof, Wickenburggasse 15

Schule Friedl Kubelka

Friedl Kubelka vom Gröller, Fotografin, Regisseurin und Visual Artist, steht mit ihrem Werk und den von ihr gegründeten Schulen (Schule für künstlerische Photographie, Schule für unabhängigen Film) für eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Medien Fotografie und Film.
Konzeptuelle Fotografie, Avantgarde- und Experimentalfilm, feministische Kunst und Freud’sche Psychoanalyse – Friedl Kubelka vom Gröller arbeitet seit den späten 1960er-Jahren an einem Werk, dessen Pionierleistungen weit verzweigte Bezugspunkte zu gerade diesen Themen aufweisen. Sie vereinen sich im Hauptinteresse der Künstlerin: der Erkundung der psychologischen Kraft des Porträts.
▶ 7., Neubaugasse 64–66. www.schulefriedlkubelka.at

30+1 Jahre Sixpackfilm

Bei sixpackfilm sind nicht nur die Kurzfilme von Marie Luise Lehner und Leni Gruber, sondern unter den 1.900 Titeln auch eine Menge Filme von filmkoop-Vereinsmitgliedern im Vertrieb. An dieser Stelle herzlichen Dank an den Josefstädter Gerald Weber, den stellvertretenden Geschäftsführer von sixpackfilm, für seine Expertise.
sixpackfilm wurde 1990 gegründet, um eine umfassende Found-Footage-Filmschau im Stadtkino zu veranstalten. Nach dem großen Erfolg wurde das Vereinsziel um den Aufbau einer Vertriebsorganisation für den österreichischen künstlerischen Film aller Stilrichtungen erweitert. 30 Jahre später ist sixpackfilm ein international etablierter Weltvertrieb und Verleih, der jährlich 40 bis 50 neue Filme um den Erdball zu Festivals schickt.
▶ 7., Neubaugasse 45/13. www.sixpackfilm.com

Kino-Anekdoten gesucht

Die Schau „Kino, Theater und Varieté in der Josefstadt“ läuft noch bis 31. Jänner 2022. Aus diesem Anlass ist das Bezirksmuseum Josefstadt auf der Suche nach Anekdoten rund um das Albertkino (Josefstädter Straße 75), das Arkadenkino (Alser Straße 23) sowie das Palastkino (Josefstädter Straße 43–45). Schicken Sie Ihre Erinnerungen an den ersten Kinobesuch oder Ihre Rendezvous im Kino. Vielleicht haben Sie sogar noch alte Eintrittskarten oder Kinoprogramme – mit Ihren Souvenirs und Erlebnissen wird ein kleines Stück Geschichte der Josefstadt wieder zum Leben erweckt!
▶ Bezirksmuseum 8. Josefstadt, Schmidgasse 18. +43 1 403 64 15, bm1080@bezirksmuseum.at


Ausgabe 01/2021