Regionale Bildung und Beratung – die Kurve kratzen
Seit zehn Jahren begleitet WUK Jugendcoaching West Schüler:innen auf ihrem Weg beim Übergang von der Schule in die Berufswelt. Wozu dient das Beratungsangebot?
Von Türkan Köksal
Unscheinbar im Innenhof der Josefstädter Straße 51 liegt das WUK Jugendcoaching West umgeben von kleinen Geschäften und gastronomischen Betrieben. „Wir sind die regionale Jugendcoaching-Einrichtung für die westlichen Wiener Bezirke, d. h. für den 5.-9. und 16.-19. Bezirk“, beginnt Bettina Lohse, Jugendcoach, das Gespräch im Veranstaltungsraum der Beratungsstelle. Dieser versprüht den Charme eines urbanen Rückzugsorts, der sich gut dafür eignet, die Gedanken zu sortieren. „Das Beratungsangebot richtet sich an alle Jugendlichen ab dem 9. Pflichtschuljahr und an Jugendliche bis zum 19. Lebensjahr, die sich nicht in Ausbildung befinden. Ein Großteil unseres Teams berät direkt vor Ort bei den Mittelschulen, Polytechnischen Schulen und Gymnasien.“ Bettina Lohse arbeitet an einer Mittelschule im 9. Gemeindebezirk.
Die Kernzielgruppe des Jugendcoachings bilden die sogenannten „schulabbruchs- und ausgrenzungsgefährdeten Schüler:innen“. Mit diesem Wortlaut wird sie auch vom Sozialministeriumservice, das für die Kosten der Beratungsleistungen aufkommt, definiert. Die Beratungen werden wiederum vom Netzwerk berufliche Assistenz (NEBA) gesteuert und durch Trägerinstitutionen, wie zum Beispiel dem WUK (Werkstätten- und Kulturhaus, ein alternatives Kulturzentrum in Wien-Alsergrund), umgesetzt. Die zentrale Aufgabe des Jugendcoachings ist das Wissen über das Bildungssystem aufzubereiten und Chancen aufzuzeigen.
14 Jahre – und nun?
Wenn man gerade die 4. Klasse einer Mittelschule besucht, ist die Pubertät in vollem Gange. Für die jungen Menschen beginnt eine Zeit der Selbstfindung, während sie sich auch um ihren weiteren Bildungsweg kümmern müssen. Den meisten gelingt das auch ohne Probleme, wenn die familiären Rahmenbedingungen dies zulassen. Denn nach wie vor hängt die Chance auf Bildung stark vom sozio-ökonomischen Status des Elternhauses ab.
„Nach neun besuchten Schuljahren ist die allgemeine Schulpflicht erfüllt. Selten ist jemand in dem Alter schon reif genug, um die Tragweite seiner Entscheidungen über seine berufliche Zukunft abzusehen, wenn er keine Unterstützung bekommt. Das österreichische Bildungssystem ist nicht leicht zu durchblicken. Nicht wenige Schüler:innen und Eltern fühlen sich damit überfordert. Genau hier setzt unsere Beratungstätigkeit an. Individuell und langfristig“, erläutert die Beraterin.
Alexander Bachl ist ebenfalls Jugendcoach und betreut die Schüler:innen einer Mittelschule im 5. Gemeindebezirk. „Das Besondere an unserem Angebot ist, dass es freiwillig und niederschwellig zugleich ist. Das macht es für die Jugendlichen einfacher, von sich aus auf uns zuzugehen, um die nötige Hilfestellung zu erhalten, damit sie ihre Zukunft weiterhin selbst steuern können.“
Welche Schüler:innen nehmen das Beratungsangebot wahr? „Dazu zählen insbesondere Jugendliche, denen es an sprachlichen Kompetenzen mangelt, die traumatisierenden Situationen ausgesetzt waren wie Fluchthintergrund oder die einkommensschwachen Familien angehören oder wenig bis keine Orientierungshilfe von ihren Eltern erhalten können“, erklärt er. „Diese Teenager müssen sich um ihre Bildung alleine kümmern“, fasst er ihre Ausgangslage zusammen.

@WUK Im Erstgespräch wird abgeklärt, wo die jungen Menschen beruflich hin wollen.
Ein Navi im Informationsdschungel
Beim Erstgespräch mit den Schüler:innen geht es darum herauszufinden, „wo sie gerade stehen, wohin sie wollen und was sie dafür brauchen“. Was sind die Hobbies? Gibt es spezielle Interessen oder unbeachtete Begabungen? Wollen sie mit der Schule überhaupt weitermachen?
In Österreich gibt es ein differenziertes Angebot an weiterführenden Schulen mit verschiedenen Schwerpunkten und Abschlüssen: AHS (Allgemeinbildende Höhere Schule) / ORG (Oberstufenrealgymnasium) / BMS (Berufsbildende Mittlere Schule) / BHS (Berufsbildende Höhere Schule) etc. Welche Aufnahmekriterien sind zu erfüllen? Gemeinsam mit den Schüler:innen werden z. B. die Internetseiten der Schulen nach dem „Tag der offenen Tür“ durchforstet. Welche Ausbildungsmöglichkeiten gibt es noch, wenn man den Schwerpunkt mehr auf das Praktische legt? Dann wird anhand von Berufsinteressentests des AMS ermittelt, wo Stärken und Neigungen liegen. „Neben klassischen Ausbildungsberufen kommen jedes Jahr immer neue dazu, wie Sonnenschutz-Techniker:in oder Fahrrad-Mechatroniker:in, über die man erst Bescheid wissen muss, dass es sie gibt“, bemerkt Bettina Lohse. Bei der Begleitung der Jugendlichen werden auch methodische Fähigkeiten gefördert, wovon sie in jeglicher Situation profitieren können: Es wird gezeigt, wo und wie man sich Informationen beschaffen kann.
Die Jugendlichen bekommen Hilfe bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz, bei der Gestaltung ihrer Bewerbungsunterlagen, Unterstützung für eine telefonische Gesprächsführung und Tipps für die Kooperation mit Behörden und Firmen etc. „Es gibt Jugendliche, die wollen Arzt oder Ärztin werden und haben drei Fünfer im Zeugnis. Das verlangt viel Fingerspitzengefühl, um zu erklären, dass es so weiterhin nur ein Traum bleibt. Wir versuchen dabei zu helfen, unrealistische Wünsche in realistische umzuwandeln“, berichtet Bettina Lohse. „Die meisten Teenies wollen lieber auf eine HTL (Höhere Technische Lehranstalt) als auf ein Gymnasium“, beobachtet Alexander Bachl. Das ist nicht weiter verwunderlich, da man bei dieser Option nach bestandener Prüfung gleich eine fertige Berufsausbildung plus die Matura vorweisen kann.
Auf der Zielgeraden bleiben
Der Erfolg von Beratungsarbeit ist bis zu einem gewissen Grad auch an Vertrauen geknüpft. Die Jugendlichen geben Einblicke in ihr Inneres. Auch wenn sich alles um die Frage des weiteren Bildungswegs dreht, reden sie über ihre Sorgen und persönliche Themen. Hierbei ist es den Berater:innen wichtig zu erwähnen, dass ihr Auftrag zwar ein bildungs- und arbeitsmarktpolitischer ist, sie aber auch viel mit verwandten Stellen zusammenarbeiten, die im schulsozialen Bereich angesiedelt sind, wie z. B. mit Beratungslehrern oder Schulkooperationsteams der MA 11. Das Ziel ist es hier, Unterstützungssysteme miteinander zu vernetzen, damit alle am gleichen Strang ziehen, um einem potenziellen Bildungsabbruch vorzubeugen. Laut Statistik Austria lag die Quote früher Bildungsabbrecher:innen (FABA) 2019 unter den 15- bis 17-Jährigen bei 6,7 Prozent.

@WUK
Schulabbrecher:innen haben auf dem Arbeitsmarkt kaum Perspektiven. Die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit bleiben vielschichtig, für die Individuen und die Gesellschaft.
„Ich habe noch kein normales Schuljahr erlebt“, sagt Alexander Bachl. Als er vor drei Jahren mit seiner Beratungstätigkeit anfing, fiel das genau in die Zeit, zu der die weltweite Pandemie die Abläufe im Schulalltag massiv verändern sollte.
Stichwort Distance-Learning. Wo es daheim keinen Internetanschluss gab oder es an Gerätschaften fehlte, gab es für einige Schüler:innen eine Zeit lang keinen Zugang zur Schulbildung. „Das digitale Klassenzimmer hatte die Bildungsschere unter den Schüler:innen noch weiter auseinandergezogen“, findet der Jugendcoach. Manchmal hören die Jugendcoachs den Jugendlichen auch einfach nur zu: schenken ihnen Raum und Zeit, so dass sie über ihren Weg nachdenken können. Dieses Jahr feiert WUK Jugendcoaching West das zehnte Jubiläum seiner Gründung. Auf viele weitere Jahrzehnte!
WUK Jugendcoaching West
Regionales Jugendcoaching für die Bezirke 5-9 und 16-19
Josefstädter Straße 51
1080 Wien
T +43-1-401 21-3300
E: jucowest@wuk.at