Reparieren gegen die Klimakrise

Das von Tina Zickler neu gegründete „re:pair-Festival“ setzt sich für einen achtsameren Umgang mit Ressourcen ein.Mitmachen ist nicht nur erwünscht, sondern dringend empfohlen!

Von Sandra Schäfer

„Konsumierst du noch oder reparierst du schon?“ Unter diesem Motto startet am 15. Oktober – dem International Repair Day – Wiens erstes „re:pair-Festival“ im Volkskundemuseum. Ziel des sich mit mehr als 100 Veranstaltungen über drei Wochen erstreckenden Programms ist es, „die traditionsreiche Kultur der Reparatur aufzuwerten und wiederzubeleben“, betont die Festival-Initiatorin Tina Zickler. Für die freischaffende Kuratorin stellt das Reparieren von Dingen nicht nur einen Akt der Selbstermächtigung dar (etwas zu leisten, das eine:n ein Stück aus der Abhängigkeit holt), sondern bildet zudem einen wichtigen Schritt aus der modernen Wegwerfgesellschaft. Denn anders, als uns die Werbung gerne suggeriert, mache Konsum nicht wirklich glücklich, so Zickler. Vor allem aber schade der permanent erzeugte Überfluss unserem Planeten. Wenn man sich zum Beispiel den Bereich Mode anschaue, so sei es „geradezu pervers, was da produziert wird“. Billige, mit Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft erzeugte Kleidungsstücke lägen „wie Müll in den Umkleidekabinen diverser Geschäfte. Das hat alles keinen Wert“, unterstreicht Zickler.

Do-it-yourself

Derweil gäbe es in den Bereichen Mode und Design zahlreiche Möglichkeiten, mittels Reparierens und Umgestaltens dem Konsumwahn entgegenzusteuern. Sich gemeinsam verschiedene Techniken des Reparierens anzueignen, ist demnach ein wichtiges Anliegen des Festivals. Das Workshop-Angebot erstreckt sich allein im Bereich Mode vom kreativen Flicken von Jeanshosen bis hin zum Stopfen von Löchern in Socken und T-Shirts; angesprochen werden sollen Schulklassen ebenso wie Familien und individuelle Teilnehmer. Besonderer Wert wird in den Workshops und Werkstätten (unter Leitung von Serafina Spatt und Alina Santis von RESI Slowfashion), dem aktuellen Trend entsprechend, auf das Thema des „Visible Mending“, also des sichtbaren Flickens, gelegt. War es früher üblich, schadhafte Stellen möglichst so zu reparieren, dass man sie nicht erkennt, so richtet sich der Fokus heute verstärkt auf Reparatur als sichtbaren künstlerischen Ausdruck. Die Ergebnisse werden oftmals stolz auf sozialen Plattformen wie Instagram präsentiert. Mit dem im Rahmen des Festivals erlernten Know-how kann man künftig nicht nur der eigenen Kreativität Ausdruck verleihen, sondern sich vor allem auch rüsten, der Klimakrise entgegenzuwirken.

Denn obwohl die Begriffe Klimakrise oder Klimawandel derzeit in aller Munde sind, scheinen sich Veränderungen dennoch nach wie vor in Grenzen zu halten – und das, obwohl es seit Jahren viele Lösungsvorschläge, wie beispielsweise die Kreislaufwirtschaft, gibt. Wie eine solche Kreislaufwirtschaft funktionieren kann und welche Maßnahmen es braucht, um nachhaltige, kreislaufwirtschaftsfähige Produkte zu entwickeln, darüber geben in der Festivalzentrale im Volkskundemuseum diverse Lectures Auskunft. Die Palette der Vorträge reicht von „Design for repairability“ von Peter Knobloch über „Reparatur ist die Königsdisziplin der Kreislaufwirtschaft!“ von Sepp Eisenriegler (Begründer des Reparatur- und Servicezentrums, kurz R.U.S.Z.) bis hin zu „Kreislaufwirtschaftliche Transformation: eine gesellschaftliche Mammutaufgabe“. In letztgenanntem Vortrag spricht Matthias Neitsch vom „RepaNet“ unter anderem darüber, dass die Erreichung der Klimaziele ohne Kreislaufwirtschaft nicht möglich sein wird.

Auf dem Weg zur Klimaneutralität

Die österreichische Regierung hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2040 Klimaneutralität zu erreichen. Damit dies gelingt, braucht es nicht nur in puncto Energiegewinnung und -versorgung ein Umdenken, sondern auch im Bereich der Bauwirtschaft. Diese beanspruche nach wie vor „mehr als die Hälfte aller Ressourcen des jährlichen Stoffstroms und verursacht zugleich weit über die Hälfte des Abfallaufkommens in Österreich“, weiß Thomas Matthias Romm. Der Architekt wird im Rahmen des Festivals zum Thema „neu weiterbauen statt weiter neubauen“ sprechen.

Dass der – nicht nur in der Bauwirtschaft – von vielen geforderte Paradigmenwechsel jedoch nicht alle gleicherweise mit Freude erfüllen dürfte, liegt in einer (Geschäfts-)Welt, die auf stetig steigende Profite ausgerichtet ist, auf der Hand. „Die Industrie hat sich jahrzehntelang keine Gedanken gemacht und wie wahnsinnig produziert und ausgebeutet. Nach wie vor ist es für viele einfacher, auf Teufel komm raus zu produzieren. Wirft man einen Blick auf die Welt, dann müssten wir eigentlich sagen: Jetzt bremsen wir erst einmal, schauen uns alles genau an und reparieren“, betont Zickler.

Die Schönheit des Alten

Damit ein gesellschaftlicher Wandel letztendlich umfassend funktionieren kann, wird es nicht zuletzt auch zu einem Wandel unserer Auffassung von Ästhetik und einer Reflexion unseres Schönheitsempfindens kommen müssen. Anleihen dazu hat sich Zickler aus der japanischen Kultur geholt. „Im Gegensatz zu westlichen Schönheitsidealen, die das Perfekte und Makellose preisen, steht Wabi-Sabi. Gemäß diesem ästhetischen Ideal gilt als schön, was Spuren der Zeit, der Verwitterung, des Gebrauchs aufweist“, erklärt Zickler. Die japanische Kultur bildet für sie von daher einen „Leitstern fürs Festival“. Dementsprechend können Festivalteilnehmer:innen unter anderem mit Paulus Kaufmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Japan-Zentrum der LMU München, über die Entwicklung neuer und nachhaltiger Schönheitsideale diskutieren oder sich von Silvia Miklin-Kniefacz, Expertin für japanisches Kunsthandwerk, in die verschiedenen Arten und historischen Stile von Kintsugi einweihen lassen. Diese japanische Methode, zerbrochene Keramiken mit Urushi-Lack und Gold zu reparieren, hat in den letzten Jahren verstärkt auch in Europa Einzug gehalten. Neben derlei historischen Techniken bietet das Festival aber auch eine Möglichkeit, sich dem Thema Reparatur mittels modernster Technik anzunähern. Was tun, wenn beispielsweise dringend benötigte Ersatzteile nicht mehr verfügbar sind? Beim Workshop im Happy Lab erfahren Interessierte, wie man mit 3D-Druckern selbst die passenden Teile herstellen kann. Von der Fahrradreparatur über das Messerschärfen bis hin zu Tipps und Tricks zum Reparieren von Teppichen reicht die Palette der Veranstaltungen.

▶ 15/10–06/11/2022. re:pair Festival. www.repair-festival.wien

 

Festivalzentrale im Volkskundemuseum

Mit dem Volkskundemuseum verfügt das Festival nicht nur über die geeigneten Räumlichkeiten für die diversen Lectures, Workshops und Werkstätten-Programme, sondern auch den idealen Ort für eine Ausstellung. Die von Tina Zickler gemeinsam mit Claudia Peschel-Wacha kuratierte Schau „Vor der Wegwerfgesellschaft“ wird für die Dauer des Festivals zu sehen sein und Objekte aus den Sammlungen des Museums zeigen. Die Palette erstreckt sich vom beinahe 170 Jahre alten Wäschepracker über mit Drahtnetz instandgesetzte Keramikschalen bis hin zu geflickten Kleidungsstücken – darunter auch die mehrfach geflickte Jeans von Museumsdirektor Matthias Beitl, der sich für deren Erhaltung selbst das Nähen beibrachte. Freier Eintritt zu allen Veranstaltungen in der Festivalzentrale!

▶ Volkskundemuseum Wien. 8., Laudongasse 15–19. www.volkskundemuseum.at

4er Fotocollage: ein Mann in weißem T-Shirt, eine Frau arbeitet in ihrem Atelier, Kleidung hängt auf einer Leine, im Hintergrund Berge von Stoffresten

Repair Festival

Grätzel-Walks

„Ich sehe das ein bisschen wie bei einem Feuerwerk: Zwei Raketen bringen nicht viel, um wahrgenommen zu werden. Mein Ziel war es, das Festival an vielen Orten stattfinden zu lassen – auch um präsenter zu sein.“ Neben zahlreichen Kooperationspartnern wie dem WUK, dem Happy Lab oder dem Musischen Zentrum Wien werden am Wochenende von 21. bis 22. Oktober auch Grätzel-Walks zu verschiedenen Unternehmen und Geschäften stattfinden, die sich auf Reparaturen spezialisiert haben. Diese Spaziergänge gehen in verschiedenen Bezirken über die Bühne und erstrecken sich von Einblicken in unterschiedliche Werkstätten bis zum Besuch bei der Puppendoktorin (Karin Haider) und dem „Gitarren-Greissler“ (Adam Wehsely von MADA).

www.repair-festival.wien

 

energie & reparatur café

2013 von Heinz Tschürtz in der Florianigasse gegründet, hat sich das „energie & reparatur café“ mittlerweile als Josefstädter Institution etabliert. Ziel war und ist es, „den Menschen mit einfachen Mitteln zu zeigen, dass es gar nicht so schwer ist, nachhaltiger zu leben“, betont der Energie- & Reparaturexperte. Die Veranstaltungen verstehen sich als Nachbarschaftshilfe und stehen im Zeichen gegenseitiger Unterstützung. „Unsere Themen sind Nachhaltigkeit und umweltschonender Umgang in Bezug auf ‚Was kann man wie reparieren?‘ und wir zeigen, wie das geht. Unser Motto ist: Do it yourself“, so Tschürtz. Abgedeckt werden sowohl die Reparatur von Alltagsgegenständen als auch die Energieberatung.

▶ Termine: 29/09+20/10+24/11/2022, 18–21h Nachbarschaftszentrum. Florianigasse 24

Ausgabe 03/2022