Verschiedene Perspektiven
Von 31. Juli bis 31. August 2022 öffnet das Open-Air-Kurzfilmfestival „dotdotdot“ im Garten des Volkskundemuseums erneut Begegnungsräume und lädt zum Perspektivenwechsel ein. Dabei sind auch Josefstädter Filmemacher:innen.
Von Sandra Schäfer
Sommerzeit ist Kinozeit. Das gilt in besonderem Maße auch für die Josefstadt. Mit dem Garten des Volkskundemuseums verfügt der achte Bezirk nicht nur über eine von Wiens stimmungsvollsten Locations, sondern auch über ein Festival mit einzigartiger Ausrichtung. Für Konzept und Leitung des 2015 aus dem „Espressofilm“ heraus entstandenen Festivals zeichnet Kurzfilmexpertin Lisa Mai verantwortlich. Gemeinsam mit ihrem Team wird in Kooperation mit unterschiedlichen Partnern vor allem jenen Themen nachgespürt, die aktuell besonders „unter den Nägeln brennen“. Auf Tourprogramme (eine von anderen Festivals zusammengestellte Filmauswahl) wird seit Anbeginn verzichtet. Jeder Programmpunkt wird von Mai selbstständig oder in Teamarbeit eigens für dotdotdot kuratiert und ist an jeweils einem der insgesamt 15 Spieltage zu erleben. Ziel der Vorführungen ist es, die im Vorfeld ausgewählten Schwerpunktthemen von verschiedenen Perspektiven aus zu beleuchten: etwas, wofür der Kurzfilm geradezu prädestiniert scheint. Ähnlich den Bildern einer Ausstellung fügen sich die einzelnen Filme zu einem Programm zusammen, das dem Konzept des Festivals entsprechend in mehrere Richtungen ausstrahlt. Eine Ausrichtung, die bereits im Titel ersichtlich wird: dotdotdot steht – in Anlehnung an die drei Punkte am Ende eines Satzes – dafür, Anknüpfungspunkte zu schaffen und Fragen zu stellen. Gerade das ist laut Mai „das Tolle am Kurzfilm, dass dieser mehr Fragen aufwirft, als er Antworten hat. Es ist ein Format, mit dem man anders als beispielsweise im Dokumentarfilm die Welt nicht erklären muss“ und das dementsprechend viel Platz für Diskussionen liefert.

„Hollywood“; Foto © Patrick Wally
Räume öffnen
„Räume zu schaffen, in denen man kommunizieren kann, wo sich Menschen begegnen können, die sich sonst vermutlich nicht begegnet wären“, zählt für Mai der Festivalausrichtung entsprechend demnach auch zu den Kernaufgaben von dotdotdot. „Im Gegensatz zu einem anonymen Screening im Kino, wo man sich in das Dunkle des Saales schummelt und dann wieder weggeht, ist ein Festival ein Ort der Begegnung. Aus dieser Möglichkeit nichts zu machen, würde heißen, das Potenzial eines Festivals zu verschenken.“ Filmtalks, Diskussionen, Workshops und künstlerische Interventionen docken am Filmprogramm an und öffnen Raum für die vertiefende Auseinandersetzung. Statt oberflächlicher Q&As, wie sie bei großen Filmfestivals üblich sind, konzentriert man sich bei dotdotdot lieber auf das vertiefende Gespräch mit ausgewählten Filmschaffenden. Dass diese hier zu 60 bis 70 Prozent Frauen sind, hat neben dem besonderen Interesse für das weibliche Kunstschaffen bei dotdotdot auch mit der Tatsache zu tun, dass vor allem in jenen Bereichen, wo sich die Finanzierung schwieriger gestaltet, „wo die Formate riskanter sind und die Verwertung nicht erfolgsversprechend ist“, ein höherer Frauenanteil zu finden ist. Es ist kein Geheimnis: „Da wo das Geld ist, wo der Markt ist, dort sind Männer präsenter“, weiß auch Mai. Passend zur Ausrichtung des Festivals am Puls der Zeit lassen sich auch dieses Jahr wieder zahlreiche Filme finden, die auf die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern sowie generell auf gesellschaftliche Schieflagen verweisen.
Schwerpunkt: Kunst(markt)
Dass die Welt der Kunst diesbezüglich keine Ausnahme bildet, darauf wird dieses Jahr getreu dem Festivalmotto „Affairs of the Art“ ausgiebig eingegangen. Dabei geht es Mai zufolge um das „Stigma von Kunst und Leidenschaft beziehungsweise Kunst und Markt“. Entlehnt wurde das Motto dem 2021 erschienenen gleichnamigen Dokumentarfilm von Joanna Quinn, in dem sich die Künstlerin mit familiären Obsessionen wie dem Schaffen von Kunst auseinandersetzt.
Ebenfalls im Rahmen des Schwerpunkts vertreten ist die Josefstädter Künstlerin Ina Loitzl, die ihr Atelier am Albertplatz hat. In ihren vielfältigen künstlerischen Arbeiten widmet sie sich unter anderem der Rolle der Frau. Gerade von Künstlerinnen werde heute verlangt, sich neben ihrer althergebrachten Rolle als Mutter und für die Wirtschaft des Hauses zuständige Ehefrau auch noch mit allen Mitteln beispielsweise als Instagram-Persönlichkeit zu vermarkten, liefert Mai einen ersten Einblick in die zu hinterfragenden Gegebenheiten.
Seit Jahren intensiv mit seiner eigenen Künstlerpersönlichkeit beschäftigt sich auch der Österreicher Christoph Schwarz. Als Filmschaffender hat er im Laufe seiner Künstlerkarriere ein Oeuvre an selbstreferenziellen Kunstfilmen geschaffen, die mit viel Humor beim Publikum punkten. Dieser findet sich auch in „Glaubwürdige Texte“ von Hubert Sielecki reichlich: Im Rahmen seiner fünfteiligen Filmserie spielt er mit Typen und Prototypen, wenn er beispielsweise im passenden Kostüm und mit überzeichnetem Habitus Texte von Politikern oder Menschen aus der Welt der Kunst synchronisiert. Bei den Texten handelt es sich um mitgeschnittene Originale, die durch seine Performance ins Absurde verrückt werden.

„Mein Hosenschlitz ist offen. Wie mein Herz.“ – Film von Marie Luise Lehner (© Portrait detailsinn)
Kooperation mit dem Queer Museum
Erfreut zeigt sich Mai auch darüber, dieses Jahr die neue Arbeit von Marie Luise Lehner zeigen zu können. Mit „Mein Hosenschlitz ist offen wie mein Herz“ – ein Zitat aus einem Gedicht der früh verstorbenen Dichterin Ianina Ilitcheva – mache die Josefstädter Filmemacherin auf besondere Weise „Lust auf Schauen und Genießen“. Gezeigt wird der Film rund um die Masturbationsfantasien einer jungen Frau in Kooperation mit dem „Queer Museum Wien“, mit dem heuer – gemäß der Festivaldevise, sich unterschiedliche Kooperationspartner ins Boot zu holen – zwei Abende gestaltet werden.
Seit Anbeginn des Festivals hervorragend funktioniert die Kooperation mit dem Volkskundemuseum. Das Museum stellt nicht nur die Location zur Verfügung, sondern fungiert zudem als „großartiger inhaltlicher Ping-Pong-Partner. Wir inspirieren uns gegenseitig, indem wir uns damit beschäftigen, welche Ausstellungsprojekte in dem Jahr geplant sind und in welcher Form wir Filmprogramme, die neue Facetten dazu aufbringen, gestalten könnten“, so Mai. „Das Kochen im eigenen Sud ist bei dotdotdot nicht unser Ding.“
▶ dotdotdot-Kurzfilmfestival. 31/07–31/08/2022. Volkskundemuseum Wien.
8., Laudongasse 15–19. dotdotdot.at
Ein Traum von einem Job
Mit „Hollywood“, dem neuen Film von Leni Gruber, zeigt dotdotdot im Rahmen der Kooperation mit „Next Cinema“ einen weiteren Film der jungen, in der Josefstadt lebenden Filmemacherin. In ihrem 27-Minüter wirft die für ihren Debütfilm „Schneemann“ preisgekrönte Künstlerin (unter anderem gewann der Film den Publikumspreis bei dotdotdot 2020) einen Blick in das Leben einer jungen Schauspielerin, die ihr Geld als Opfer bei Feuerwehrübungen verdient. In der Hauptrolle glänzt Marlene Hauser. „Hollywood“ hat heuer bereits den Local Artist Award des Filmfestivals Crossing Europe in Linz gewonnen.
Carte Blanche
Mit „We have one heart“ begeisterte die polnische Filmemacherin Katarzyna Warzecha im vergangenen Jahr das Publikum. Die Geschichte rund um eine Familie, die auseinandergerissen und auf ungewöhnliche Weise wieder zusammengeführt wird, wird heuer im Rahmen der von Warzecha gestalteten Personale erneut zu sehen sein. „Statt eine Trophäe an die Preisträger:innen zu schicken, gehen wir davon aus, dass das Publikum mehr von diesen Filmschaffenden sehen will“, erklärt Mai das Konzept zur Personale. Die Gewinnerin oder der Gewinner des Publikumspreises wird im darauffolgenden Jahr eingeladen, einen Abend rund um ihren/seinen preisgekrönten Film zu gestalten.
Film & Musik
Erstmalig werden in diesem Jahr in einer Kooperation mit der Filmakademie und der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien zwei Abende mit Filmen von Studierenden der Filmakademie kuratiert. Die von drei mdw-Studierenden im Rahmen ihrer Abschlussarbeit für das Festival ausgewählten Kurzfilme sollen an jedem der zwei ausgewählten Abende mit einem anderen Soundtrack live vertont werden. Das Ergebnis wird trotz derselben Filme ein unterschiedliches sein. Ein spannendes Projekt, das zeigen soll, wie Bild, Sprache und Musik miteinander in Dialog treten.
Wissensvermittlung Klimawandel
Gemeinsam mit dem Volkskundemuseum und dem an den Arbeitsbereich für Wissenschaftsgeschichte der Universität Wien angedockten Forschungsprojekt „Realfiktion Klimarechnungshof“ hat das dotdotdot Künstler:innen dazu eingeladen, sich filmisch mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Wissen zum Klimawandel kommuniziert werden kann. Das Projekt ist Teil der kollaborativen Forschungsinitiative Studio Klimawandelwissen, die vom Institut für Europäische Ethnologie initiiert wurde und bis Sommer nächsten Jahres läuft. Erste Einblicke sollen beim Festival diesen Sommer präsentiert werden.