Von Neuseeland nach Neulerchenfeld

Violet Candide:  Sie kam aus Christchurch und verliebte sich in die Josefstadt. Genau genommen zuerst in Christian und dann in die Josefstadt.

von Norbert Aschenbrenner

Mit ihr wurde der Bezirk ein gutes Stück bunter, obwohl sie seit ihrem 12. Lebensjahr nur Schwarz trägt.

Geboren Ende der Sechzigerjahre auf der anderen Seite dieses Planeten, hat es Violet Candide – so ihr Künstlername – vor 23 Jahren nach Wien verschlagen. Abstammend von einer irischen Großmutter aus dem Raum Dublin, aufgewachsen in einem pazifischen Inselstaat, hat sie in Hongkong das HaarkunstHandwerk erlernt.

Die ersten Jahre nach ihrer Ankunft in Wien arbeitete sie in einem altehrwürdigen Salon in der Innenstadt. Der elegante Coiffeur in der Habsburgergasse war ihr zwar freundschaftlich zugetan, aber dann vielleicht doch etwas zu konservativ, sodass sie alsbald ihr kreatives Glück bei Peter Gala und Jochen Mellinger suchte.

Da sie sich vorrangig als Künstlerin sieht, hat sie sich mit dem Wechsel zu Gala & Mellinger in die richtige Richtung verändert. Das zeigt sich auch da- ran, dass sie die kreative Truppe in der Albertgasse bereits seit nunmehr achtzehn Jahren verstärkt.

Wer von der Josefstädter Straße kommend die Albertgasse hinunterschlendert, eventuell um unserer Redaktion einen Besuch abzustatten, kann gar nicht anders, als kurz vorher ein paar Blicke in den schmucken Salon der beiden Cousins zu werfen. Die transparente, aber unaufgeregte Zurschaustellung kunstvollen Haareschneidens macht Lust auf einen Besuch. Hinter einem der großen Fenster ist dann auch stets unsere Protagonistin zugange. Wer eingangs des Artikels aufgepasst hat, erkennt sie sofort.

Neben ihrem Brotberuf, in dem die Neuseeländerin unsere Häupter verhairlicht, trägt sie auch als Musikerin zum Gelingen dieser Stadt bei – sie hat sich nämlich seit vielen Jahren dem Genre des Minimal Synth verschrieben. Um sich das Klangerlebnis von Minimal Synth besser vorzustellen, können sich die Älteren unter den geneigten Leserinnen und Lesern an den Sound von Visage, Human League, Soft Cell oder Kraftwerk erinnern.

Minimal Synth ist in den frühen Achtzigerjahren in Belgien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien entstanden, angelehnt an New Wave und Post-Punk. Die Nische, in der von Anfang an das Prinzip DIY („Do it yourself “) galt, ist im Underground noch immer höchst lebendig. Anders als der Mainstream des 80er-Jahre-Synthiepop wurde Minimal Synth oftmals im Heimstudio (aka Schlafzimmer) auf Kassette aufgenommen und im Alleingang vertrieben. Kennzeichnend für den reduzierten Minimal-Synth-Sound sind rohe Synthesizerklänge, pulsierende Bässe, Drumcomputer und kühler, emotionsloser Gesang. Wenn man Letzteren auch noch weglässt, gelangt man schließlich zu Minimal Electronics (Instrumental Minimal Synth).

Eines der ersten Projekte von Violet Candide firmierte unter dem Arbeitstitel Peppy Pep Pepper und entstand großteils solo. Als sie im Studio mit dem Elektronik-Musiker Mahk Rumbae an Verbesserungen ihrer Demoaufnahmen arbeitete, wurde ebendieser auf sie aufmerksam und fragte sie im Gegenzug nach Ideen für Lyrics und Vocals für seine Entwürfe, woraus im Handumdrehen eine fruchtbare Zusammenarbeit erwuchs. Der Brite Mahk Rumbae war schon längst mit Formationen wie Codex Empire, Konstruktivists oder Oppenheimer MKII erfolgreich und gründete daraufhin mit Violet Candide das Konstrukt Mitra Mitra.

Eigentlich als Studioprojekt gedacht, erhielt Mitra Mitra rasch Angebote für Auftritte. Dadurch ermutigt, veröffentlichten die beiden hurtig ein Album, das nach nur fünf Wochen ausverkauft war. Nachzuhören auf music.youtube.com. Liveauftritte sind unter anderem in Berlins angesagtem Technoclub Berghain geplant.

Violet Candides aktuellstes Projekt entstand zusammen mit Tigerlilly und nennt sich Violetiger. Das offizielle Video der Auskoppelung „Rotation of Steel“ (gedreht im nächtlichen Stadtpark) brachte es in kürzester Zeit auf über 61.000 Aufrufe.  Violet Candide veröffentlicht ihre Musik größtenteils auf Kassette. Was auf den ersten Blick wie ein wunderbarer Retrotrend klingt, hat schlicht finanzielle Gründe. Ihr Label hiezu, Modern Tapes, sitzt in New York, aber beim in Münster ansässigen Onlinehandel Kernkrach könnte man auch fündig werden.

Violet Candide liebt ihre Josefstadt, nicht zuletzt, weil sie auch elf Jahre in der Josefstädter Straße gewohnt hat. Sie erwähnt augenzwinkernd, dass ihr Name noch immer am Haustor steht, obwohl sie jetzt schon seit einem Jahr hinter den Gürtel verzogen ist. Aber eben nur über die Straße, also hat sich ihr Arbeitsweg lediglich von drei auf fünf Minuten verlängert.Sie liebt auch ihre Klientel und ob möglicherweise Promis darunter sind, ist für sie nicht von Belang. „Doch wenn ich so darüber nachdenke“, grinst sie, „einige Schauspieler sind schon dabei, aber ich kenne sie nicht beim Namen – und wenn doch, dann würde ich es nicht verraten.“   Wer Violet Candide um ein Autogramm bitten möchte, braucht nur bei Gala & Mellinger nach Stephanie fragen.


Ausgabe 03/2021