Von Lichtessern, Feinschmeckern und dem vegangen Weihnachtsbraten
„Zusammen isst man weniger allein“, wusste schon der Volksmund. Und dass „Liebe durch den Magen geht“ sowieso.
Von Iva und Markus Walden
G.B. Shaw meinte sogar, dass es keine aufrichtigere Liebe gebe als die zum Essen – und wer wären wir, ihm zu widersprechen?
Es hat also was mit dem Essen und dem Miteinander und erst recht mit dem Miteinander-Essen – aber was hat’s da eigentlich genau?
In Markus’ Kindheit, man schrieb die späten 70er, da war die Welt noch in Ordnung. Zumindest kulinarisch am Familientisch – und wer etwas anderes meinte, tat gut daran, Selbiges für sich zu behalten. Denn wenn es um die Wiener Schweinsschnitzel mit Mayonnaisesalat der lieben Mutter ging, verstand die gute Dame weder feingeschliffene Ironie noch augenzwinkernden Sarkasmus.
„Geht nicht rein, gibt’s nicht!“, war die Devise, und wer meinte, den Mittagstisch verlassen zu können, bevor nicht auch der letzte mayonnaiseummantelte Panierkrümel sich auf den peristaltischen Weg alles Irdischen begeben hatte, der hatte das System lukullischen Miteinanders nicht verstanden. Denn erst wenn nach dem Tiramisu inklusive Zwangsnachschlag und einem doppelten Baileys mit warmem Obers das Zuckerkoma einen auf die danebenstehende Couch verbannte, wo man dann stöhnend und ächzend die Zeit bis zum Nachmittagskaffee überdauern durfte, hatte man den Künsten der Köchin gebührend Achtung und Reverenz erwiesen und sich für das Dacapo am folgenden Wochenende qualifiziert. Kurzum: Man aß, was auf den Tisch kam. Extrawürste kannte man nur als Beamtenforellen, und Exotik verhieß allein das neu eröffnete Chinarestaurant, das man lediglich zu allerhöchsten Anlässen und auch dann nur maximal zweimal pro Kalenderjahr frequentierte.
Aus damaliger Perspektive war es eine Zeit unfassbar homogener Zwangsharmonie und alle waren glücklich und zufrieden und taten auch sonst, wie ihnen geheißen. Wenige Wimpernschläge und 40 Lebensjahre später findet sich Markus nun an Ivas Seite als Elternteil einer bis zu siebenköpfigen Patchwork-Kinderschar wieder, die sich in wechselnder Belegschaftsgröße regelmäßig zur gemeinsamen Nahrungsaufnahme einfindet. Im Gegensatz zum orgiastischen Treiben der Wirtschaftswunderjahre, in denen noch „Prallhans“ Küchenmeister war und Kalorien eine valide Währung, man Schwein hatte und dies auch durchaus wörtlich zu verstehen war, ist es heute die Vielfalt, die das kulinarische Geschehen im Hause Walden dominiert.

© Mario Lang
Und das hat mehrere Gründe: Einerseits lokale, denn da gut die Hälfte des Familienverbands sich einer kroatischen Historie in zweiter und dritter Generation erfreut, sind ćevapi („Ćevapčići sagen nur die, die sich nicht auskennen“), kulen (scharfe Rohwurst), mlinci (Nudelbeilage) und sarma (Sauerkrautrouladen) fixe Größen auf der familiären Speisekarte.
Andererseits ernährungstechnische: Während Iva und Markus sich, nicht zuletzt aufgrund von Unverträglichkeiten, seit vielen Jahren intensiv mit naturbelassenen Ernährungsformen auseinandersetzen und es im Bereich Paleo, Low Carb und Keto auch zu einer gewissen Professionalität gebracht haben (www.vanwalden.com), haben sich die beiden Jungerwachsenen ganz dem Thema Vegan (Hendrik) und Vegetarisch (Naomi) verschrieben. Und während Computer-Nerd Sima (15) einfach alles vertilgt, was ihm vor die Nase gesetzt wird, Kreativ-Teen Lada (13) am liebsten Lichtesserin wäre und Rugbyspieler Max (11) seinen Burger ausschließlich nur mit „Fleisch und Brot“ bestellt, sind die beiden Wirbelwinde Pippa (10) und Dora (9) offen für alles, was gesund und manchmal auch das genaue Gegenteil ist.
Was bedeutet das im Alltag? Ein Blick in den Kühlschrank zeigt’s: Milch gefällig? Der Haferdrink steht gleichberechtigt neben laktosefreier Voll-, Ziegen- und Schafmilch. Und ähnlich verhält es sich mit dem Käse. Daneben viel rohes Gemüse, Butter, etwas Schinken, Marmelade und immer viele Eier. Und worauf einigt man sich beim Kochen? Auf ganz viel Gemüse – und ein modulares System. Viele kleine Gerichte, die jeweils nach Lust und Laune nach jeglicher Ernährungsvorliebe kombiniert werden. Das erhält den Familienfrieden nachhaltig und den Glückslevel der Truppe hoch.
Herausforderung: Festtagsessen! Das erste vegan-paleo-kroatisch-österreichische Weihnachtsfest war die Feuertaufe. Mit veganen Krautrouladen, einer knusprigen Bauernente sowie einem vegetarisch-glutenfreien Nussbraten wurden dann aber alle satt. Zum Nachtisch gab’s noch ein Schokobananeneis mit Kokosmilch und veganen Apple-Crumble. Und kommt es da nie zu Reibereien und Diskussionen? Gerade Essgewohnheiten, die stark voneinander abweichen, sind ja oft auch heiß umkämpft. Das stimmt und es wäre eine Lüge zu behaupten, dass es nicht auch schon die eine oder andere Debatte gab. Aber die diversen Ernährungsgewohnheiten geben auch die Möglichkeit, an sich zu arbeiten, jede und jeder für sich.
„Wir haben gelernt, einander zuzuhören und wertzuschätzen, trotz abweichender Meinungen. Wir haben gelernt, dass Unterschiede bereichernd sein können und es immer etwas gibt, was man noch nicht weiß oder noch nicht probiert hat. Und wir haben gelernt, dass die Akzeptanz von Andersartigkeit und das Aushalten von Diversität Zeit braucht. Und ja, man kann all das tatsächlich lernen.“
Ach ja, nachdem das Beste ja immer zum Schluss kommt und im Wein bekanntermaßen die Wahrheit liegt: Auf Kroatisch heißt der G’spritzte „Gemischt“ und trägt die Vielfalt somit schon im Namen – mehr divers geht nicht. Echt nicht.