Wenn Stoffe erzählen

In ihrem Geschäft talking textiles zeigen die beiden Ethnologinnen Sonja Zettinig und Sabine Leder, wie sie Stoffe zum Erzählen bringen.

Von Norbert Mersich

Wer an einem trüben Wintertag die Josefstädter Straße hinunterschlendert und sich der riesigen U-Bahn-Baustelle nähert, erlebt einen wohltuenden Kontrast, wenn der Blick in eine Auslage fällt, aus der einem die verschiedensten Farben und Designs entgegenleuchten.

In ihrem Geschäft präsentieren Sonja und Sabine vielfältige Textilien – Wandbehänge, Tischwäsche, Schals, Decken, Teppiche, Bettüberwürfe und Bekleidung – aus Süd- und Südostasien. Die beiden kennen sich schon aus gemeinsamen Studienzeiten. Auf Forschungsreisen kamen sie mit Frauenkooperativen in Kontakt, die sich auf alte Handwerkstraditionen besinnen und sie mit neuem Leben erfüllen. In Handarbeit verarbeiten sie Naturmaterialien wie Wolle, Baumwolle, Kaschmir und Seide; manchmal beginnt die Wertschöpfungskette schon bei der Seidenraupenzucht.

Zwei Mal im Jahr machen Sonja und Sabine Einkaufstouren nach Indien, Laos, Thailand und Indonesien, um sich von der hohen Qualität der Produkte zu überzeugen. „Wir erfahren, wie jedes Stück hergestellt wird, wie die Leute leben, was sie beschäftigt, ihre mythologischen Traditionen, all das spiegelt sich in den Textilien wider, jedes Produkt erzählt seine eigene, ganz spezielle Geschichte.“ Dabei hat jedes Muster seine eigene Bedeutung. „Oft werden glücks- oder stärkebringende Symbole eingewebt, die dem Träger Kraft und Macht verleihen sollen.“

eine Gruppe indischer Frauen beim Weben von Stoffen

talking textiles versteht sich als ein soziales Unternehmen. „Es geht uns nicht um persönliche Bereicherung, sondern mit dem Einkauf direkt bei den Produzentinnen wollen wir dazu beitragen, dass die Frauen vor Ort ein reguläres Einkommen erhalten und ihre Arbeit entsprechend geschätzt wird“, sind sich die beiden Frauen einig. Die Kooperativen schaffen verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten, von der Arbeit am PC bis zu betriebswirtschaftlichem Know-how.

Bei ihren Reisen beobachten Sonja und Sabine, wie rasch die Entwicklung in diesen Ländern voranschreitet. „Das Rad dreht sich dort schneller als bei uns, die junge Generation sprüht vor neuen Ideen.“ Sobald es nach Corona möglich ist, wollen Sonja und Sabine wieder in die Ferne reisen und neue Schätze für ihre Kundinnen und Kunden entdecken. Aber auch umgekehrt sind die Produzentinnen sehr an einem Feedback interessiert und wollen unsere Kultur und Lebensweise kennenlernen.

Für die Zukunft haben Sonja und Sabine viel vor. „Wir freuen uns schon, wenn wieder unsere ‚Textilverkostungen‘ im gepflegten Rahmen möglich sein werden. Aber wir wollen auch andere Aspekte aus den Herkunftsländern zur Geltung kommen lassen, wie Ayurveda, Literatur, musikalische und kulinarische Genüsse.“ Sonja und Sabine würden sich freuen, wenn dann auch viele Josefstädter:innen dabei sein könnten!

talking textiles – Wenn Stoffe erzählen, Josefstädter Str. 6, 1080 Wien, www.talkingtextiles.at

Ausgabe 01/2022


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