Wir schließen. Ein Abschied, der weh tut

Zahlreiche Geschäfte haben die letzten Monate nicht überlebt. Zum Beispiel der Blumengarten in der oberen Josefstädter Straße. Ein Schaufenster und Abschiedsworte, die unsere Autorin Natalie Kroll nachdenklich stimmen.

Von Natalie Kroll

Es sieht aus wie immer. In Großbuchstaben klebt „SALE“ am Schaufenster, rote Prozentzeichen springen einem entgegen. „Wir schließen“, „50% auf Alles“. Der Anblick schließender Geschäfte ist jedes Mal der gleiche. Kunden nutzen die Gunst der Stunde und schlagen ein Schnäppchen. Viele Läden sind selten so voll wie in Zeiten ihrer Geschäftsaufgabe. Was muss das für ein Gefühl sein?

Ich stehe vor „Blumengarten“. Einem Bekleidungsgeschäft für Damenmoden in der Josefstädter Straße. Nicht wirklich mein Stil, denke ich, aber trotzdem schaue ich hinein. Wenige Teile hängen an den Kleiderständern und warten auf neue Besitzer, das Geschäft wirkt leergekauft. Ich will weiter und lese beim Verlassen beiläufig den Aushang:

„Liebe Kunden,

Wir müssen leider unser Geschäft aufgeben. Wir bedauern es sehr und bedanken uns bei Ihnen für Ihre langjährige Treue. Wir wünschen Ihnen und Ihren Liebsten viel Gesundheit.“

Das zu lesen stimmt mich nachdenklich. Für Außenstehende sind Geschäftsaufgaben ein anonymes Geschehen, die Gründe vielfältig, meistens fehlt Umsatz, manchmal auch der Nachfolger. Diese wenigen Zeilen offenbaren die Notsituation und das ausdrückliche Bedauern der Eigentümer. Der Abschied tut weh und sie lassen alle daran teilhaben. Es wäre einfacher gewesen, es bei einem „Alles muss raus“ zu belassen.

©Gabriele Lux

Traurig, aber kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten ereilte mehrere Josefstädter Betriebe ein ähnliches Schicksal. Der Aushang von Blumengarten erinnert mich an die ausführlichen Abschiedsworte der Firma Herold. Es war Mai dieses Jahres, die Nachricht über das Ende des seit 1914 bestehenden Traditionsgeschäfts verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Josefstädter diskutierten in Cafés und sozialen Medien die möglichen Gründe der Schließung und weilten in nostalgischen Erinnerungen an Modelleisenbahnen und weihnachtliche Schaufensterauslagen. Zugegeben, mir als zugezogene Josefstädterin war Herold kein Begriff. Zahlreiche Male bin ich an dem Geschäft vorbeigelaufen, aber die durch Sonne vergilbten Spiel-und Haushaltswaren erweckten nie meine Aufmerksamkeit. Trotzdem stach er ins Auge, dieser Aushang am Schaufenster eines leergefegten Ladenlokals. Das letzte Überbleibsel einer über hundertjährigen Unternehmensgeschichte. Ich verstand, dass mit Herold ein traditionsreicher Fachhandel den Kampf gegen geändertes Konsumverhalten und Corona endgültig verloren hatte.

Herold und Blumengarten sind Geschichte. Sie gingen leise, aber nicht wortlos. Ihre Briefe zeugen von Dankbarkeit und Demut gegenüber Kunden, Mitarbeitern und Lieferanten. Ein anständiger Abschluss, wie ich finde. Er hilft, den Blick nach vorne zu richten. Das Ende einer geschäftlichen Ära, ob kurz oder lang, ist mehr als nur ein „Alles muss raus“. Die Art und Weise des Abschiedes bildet die Saat für die unterschiedlichen Formen des Neubeginns. Die Eigentümer widmen sich anderen Projekten, Mitarbeiter gehen auf Jobsuche, Stammkunden finden neue Geschäfte. Die Ladenlokale werden leer stehen und eines Tages wieder mit anderen Produkten oder Dienstleistungen gefüllt werden. Es geht weiter, es geht IMMER weiter, nur eben anders. Ein Neubeginn ist oftmals erzwungen, nicht immer haben wir die Wahl. Es liegt an uns, die Bühne mit erhobenem Haupt und vernünftigen Worten zu verlassen. Wie wir gehen, so starten wir.

veröffentlicht am 22.09.2021


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