Zahlen und Musik
Manfred Lappé, aus Hamburg stammend, blickt auf eine erstaunliche internationale Laufbahn in der Musikindustrie zurück. Er hat sich in seinen 70ern die Begeisterung für Musik und das Arbeiten damit bewahrt – wie auch die Liebe zum Leben in der Josefstadt.
„Das können wir auch selber machen.“ So lautete die Conclusio von Manfred Lappés Fact-Finding Mission in Österreich, die er in den 1970ern als damaliger Assistent der Geschäftsleitung der WEA Music, einer Tochtergesellschaft von Warner Music (einem der drei globalen Riesen der Musikbranche mit Sony und Universal), unternahm, um zu sehen, wie die Strukturen im Land waren und wie der lokale Lizenznehmer arbeitete.
Das „Selbermachen“ wurde dann prompt zur Aufgabe des 1949 geborenen studierten Diplom-Betriebswirts, dem seine Neigung und sein Talent für Zahlen und Musik – und seine Lust am Reisen – zu einem anekdoten- und ereignisreichen Leben verhalfen. Dieses führte ihn nicht zuletzt nach Wien in den achten Bezirk, wo er heute noch gerne lebt. Die erste Niederlassung der ab 1977 in Gründung befindlichen österreichischen Warner-Dependance befand sich in der Florianigasse. In zwei Wohnungen wurde gearbeitet und seinerseits auch gelebt. War der Schlaf zu gut, konnte es schon sein, dass eine Mitarbeiterin ein Schriftstück unter der Tür der kleineren Wohnung durchschob, um den Übergang vom Privat- ins Berufsleben zu beschleunigen.
1974 bei Warner eingetreten, verließ Manfred Lappé die Firma 2007 auf eigenen Wunsch, nachdem er zuvor als „Chief Operating Officer“ maßgeblich an der grundsätzlichen Neustrukturierung der Musikaktivitäten mitgewirkt hatte – und die Geschichten, die er aus seinen über drei Jahrzehnten in der sich ständig wandelnden Musikbranche zu erzählen hat, sind zahllos, ebenso wie die damit wiederum verwobenen (Musik-)Legenden. Da taucht kurz Peter Müller auf, der mit seiner Soundmill Vienna einer der Klangarchitekten des Austropop war – und Hausproduzent von Warner. Dort winken Ahmet und Nesuhi Ertegün von Atlantic Records (Aretha Franklin, Led Zeppelin, Rolling Stones, Atlantic Jazz). Lappé macht einem bewusst, wie schwer es ist, selbst einen Mega-Hit wie „In The Air Tonight“ von Phil Collins vorab in seiner konkreten kommerziellen Dimension einzuschätzen. 25.000 Exemplare der Single würden sie absetzen können, meinten seine Kollegen vom Verkauf – 250.000 wurden es.
Es hat nichts Großtuerisches, wenn der überzeugte Bartträger – sein Markenzeichen – all das Revue passieren lässt, aber auch nichts nostalgisch Verklärtes. Nicht nur mit einem Ticket von Led Zeppelins einmaligem Reunion-Konzert am 10. Dezember 2007 in London liegt tatsächliche globale Musikgeschichte auf dem Tisch im Café Hummel, als Manfred Lappé beim Gespräch dort einen nur rasch zusammengetragenen Einblick in sein Privatarchiv gewährt.
„Hinter den Zahlen, mit denen ich gearbeitet habe, steckte zum Glück immer Musik“, zitiert ihn eine firmeninterne Publikation, und das ist immer spürbar. Wenn die Rede davon ist, wie Lappé die Firma in Österreich als Tor zu den Musikmärkten des Ostens sah und dort operativ agierte – samt der grotesken Situation, dass entschieden werden muss, in Tschechien pro Jahr fünf Titel aus dem Riesenkatalog Warners zu veröffentlichen, und der Verantwortliche als Fan für Hank Williams optierte. Ebenso und noch mehr, wenn der Gitarrist Manfred Lappé Thema ist. Der spielte in den 70ern bei der deutschen Rockband Novalis und griff in den 2010er-Jahren noch einmal mit Freunden bei Dibo in die Saiten.
Der Ausstieg vom Ausstieg aus der Musikbranche geschah mit Billigung seiner in Wien kennengelernten Frau. Seit 2008 bietet Manfred Lappé selbstständig seine beraterische Kompetenz an, die sich unter anderem mit Preiser Records und dem Verlag von Seiler und Speer befasst. Deren Album hörte er am Weg zu und von einem Termin in Budapest durchgehend – und es gefiel ihm sehr, was er hörte.
„Wo ich wohne, schaue ich ja auf den Tigerpark, wo diese Schule war, die, wie ich in ,derAchte‘ gelesen habe, Freddy Quinn besucht hat – und das war ja der Hamburger Matrose für mich: die Gitarre und das Meer. Darum habe ich 1956/57 zur Gitarre gegriffen und wollte in die Welt … und ich habe mittlerweile über 100 Länder besucht.“ (Rainer Krispel)

© Mike Lhotka, privat
MUSIK LEGENDEN
NOVALIS
Manfred Lappés Zugang zum Musikgeschäft ist auch entscheidend durch das eigene Musikmachen und -hören des Gitarristen geprägt (bei einem ersten Telefonat fällt Led Zeppelin als persönliche Geschmacksreferenz). Dabei spielte er unter anderem im Umfeld der Hamburger Band Novalis, die in den 1970ern zunächst mit dem „majestic prog-rock album“ (Zitat Discogs) „Banished Bridge“ – 1973 auf dem legendären „Krautrock“-Label Brain erschienen – englischsprachig für Furore sorgte und später auch mit deutschen Texten Erfolg hatte. Auf dem 2017 bei Vertigo erschienenen, mittlerweile gesuchten Novalis-Boxset „Schmetterlinge“ ist Lappés Gitarre auf den Raritäten „Wait For Me“ und „Changing Days“ zu hören: Der erste Song nimmt sich über elf Minuten Zeit für seine sinnlichen musikalischen Exkurse.
WARNER MUSIC
Ende der 1950er-Jahre als Warner Bros. Records als Ableger der Warner Filmstudios gegründet, war die Firma als WEA – Warner-Elektra-Atlantic – in den 1970ern bereits einer der drei großen globalen Konzern-Music-Player. Dabei vereint Warner eine Unzahl von Labels und Künstler:innen unter dem Firmen-Dach, kommerzielle Überflieger wie Ed Sheeran oder Coldplay ebenso wie den notorischen Viel-Veröffentlicher Neil Young. Musikbusiness-Legenden wie die Brüder Ertegün, Lenny Waronker, Jac Holzman oder Seymour Stein sind untrennbar mit der Geschichte Warners verbunden. Baute Manfred Lappé den österreichischen Firmensitz als Adresse mit eigenem Profil und Repertoire sowie Verantwortung und Headquarter für den gesamten osteuropäischen Raum auf, ist Warner Music Austria in Zeiten von digitalem Musikmarketing und Streaming-Diensten Teil von Warner Music Central Europe mit eigenem Büro in Wien.
▶ Warner Music. 6., Mariahilfer Straße 103. www.warnermusic.de
PREISER RECORDS
1952 gründete der aus der Emigration in England zurückgekehrte Otto G. Preiser in Wien die nach ihm benannte Plattenfirma. Im Bereich von Klassik, Wienerlied und Kabarett, samt eigenen Aufnahmestudios – bis heute kann im Casino Baumgarten mit ausgezeichneter Technik Musik eingespielt werden –, etablierten Preiser und Produzent Jürgen Schmidt die Firma als eine absolute Qualitätsadresse für musikalische Unterhaltung mit künstlerischer Substanz. Helmut Qualtinger, Gerhard Bronner, Kurt Sowinetz, Cissy Kraner oder Fatty George sind nur einige der großen Namen, die auf Preiser zu hören sind. 2015 neu aufgestellt, trägt Manfred Lappé als Teil des Label-Managements dazu bei, dass der legendäre Katalog ebenso aktiv bleibt, wie aktuelle Musik von der Wiener Tschuschenkapelle oder Seiler & Speer veröffentlicht wird.
▶ Preiser Records. 14., Linzer Straße 297. www.preiserrecords.at
SEILER UND SPEER
„Das ist immer besser geworden“, resümiert „Zahlen- und Musikmensch“ Manfred Lappé sein ausführliches Hören des Debüts von Seiler & Speer, „Ham kummst“ (2015). Mittlerweile mit Sechsfach-Platin ausgezeichnet, sind Seiler & Speer heute fast jedem ein Begriff. Wenn Lappé über das Duo spricht, übernimmt klar der Musikmensch das Ruder, der aus Zustimmung zum Gehörten, der prägnanten Mischung von Wortkunst und Musik, den Zahlenmenschen in deren Dienst stellte. Als Berater, Verleger und mit Preiser Records als Vertrieb: Zuletzt ging das symphonische Album mit Christian Kolonovits auf Platz 2 der Album-Charts. „Ham kummst“ ist ein Erfolg, der keinesfalls eine „gmahde Wiesn“ war: Lappé vergleicht die Erfolgsgeschichte mit jener von Alanis Morissettes „Jagged Little Pill“, das über ein Jahr von Platz 118 der Billboard-Charts an deren Spitze kletterte.